Subjektkritische Beschäftigungen
mit Japan |
In der mißbilligender Ton, worauf seit langem im Westen über die japanische Lust zum Kopieren gesprochen ist, resoniert unwillkürlich eine 2000 järige platonischchristlicher Tradition, gestimmt von den Diskussionen über die Gegensätze zwischen Schein und Wirklichkeit. Diese Debatte sind immer im Vorteil der Letztere eintschieden. In das einigermaßen geringschätzige 'Kopieren' klingt implizit eine negative Anerkennung durch, die aber mehr als auf den japanischen Umgang mit der Welt, auf einen westlichen Preokkupation hinweist der der Kern bildet von dem Begriff Modernität: der Kult der Originalität, der zusammenhängt mit der Problematik des Subjekts. Die japanische Lust zum Kopieren wäre eine Verneinung einer praktischen Konsequenz dieser Absicht: westliche Individuen meinen sich von einander unterscheiden zu können, indem sie, im Hinblick auf ihre autonome Selbstbestimmung, in ihrer kreativen Hang immer wieder beabsichtigen das Neue zu verwirklichen. Betrachten wir aus interkulturelles Perspektive die Wechselwirkung zwischen den 'Schein'Tendenzen im japanischen Denken und in der von einigen französischer Denker ausgeübte Subjektkritik etwas minuziöser, so zeigt sich heraus, daß es auch im Westen einer ähnlichen Bewertung des Scheins gibt. |
1. Die Problematik des Scheins
im Westen Platons Ablehnung der Kunst als verdoppelter Schein oder als eine Kopie einer Kopie hat das abendländische Denken entscheidend beeinflußt. Die negative Bewertung des Scheins, als die Wiederholung eines Orginals, trifft eine Reihe Begriffe wie Wiederholung, Mimesis und Vorstellung. Die vom Christentum durchgeführten, radikale Trennung zwischen das Irdische und das Himmlische, zwischen Sünde und Redlichkeit und die cartesianische KörperGeist Dualität sind kulturgeschichtlich determinierte Gestalten dieser platonischen Verneinung. Sobald am Anfang des 19e Jahrhunderts in der kantischen und hegelschen Reflexionsphilosophie die Beziehung zwischen Schein und Sein dynamisiert wird und die beide Gegenpole in dieser neuen Beziehung ihre Stelle in den Erkenntnisprozeß immer wieder gegenseitig wechseln, fangt eine Umwertung des Scheins an. Aber erst in Nietzsches Kulturkritik bekommt der Schein eine positive Wert.
"Aber die Wahrheit gilt nicht als oberstes Wertmaß,
noch weniger als oberste Macht. Der Wille zum Schein, zur Ilusion,
zur Täuschung, zum Werden und Wechseln (zur objektiven Täuschung)
gilt hier als tiefer, ursprünglicher, metaphysischer als der
Wille zur Wahrheit, zur Wirklichkeit, zum Schein...".
Dieser Kritik wird von spätere, von Nietzsche beeinflüßte Philosophen wie Georges Bataille, Roland Barthes, Michel Foucault, Gilles Deleuze, JeanFrançois Lyotard, Jacques Derrida und Jean Baudrillard so angegriffen, daß unsere von visuellen Medien und von Bilder bestimmten Postmodernität einem gründlichen Diagnose unterworfen werden kann. Der MediunTheoretiker Peter Weibel weist darauf hin, daß die heutige Akzeption der Medien in Alltagleben mit die Problematisierung der Opposition ScheinSein in 19e Jahrhundert angefangen hat und durch eine Semiotisierung der Gesellschaft in unser Jahrhundert bekräftigt ist:
"Diese Semiotisierung der Gesellschaft kann
von einem konservativen Standpunkt aus als der Verlust des Realen
interpretiert werden, zumindestens als Verlust der Referentialität
zum Realen. Ich könnte auch sagen, das Ausmaß an Lüge,
Schein, semiotischer Entropie nimmt zu".
Norbert Bolz, für wen Nietzsche die Drehscheibe im Denken über den Schein ist, präzisiert dies in Eine kurze Geschichte des Scheins:
"So wie der Schein für Nietzsche nicht
der Gegensatz zur Realität ist, sondern diese selbst, so liegt
auch die höchste Wahrhaftigkeit nicht im Widerstand gegen die
Lüge, sondern in der Einsicht, daß man immer lügt,
d.h. dichtet."
Es ist die Angst vor dem Schein, die zich als kritisches Bewußtsein rationalisiert. Es ist diese Angst, so meint Bolz, "die der Welt der Computer den Weg geebnet hat". Die Leichtigkeit womit die nur seit Ende des 19e Jahrhundert aus der Feodalität herausgetreten Japaner die neu Medien und die Digitalität akzeptiert haben, könnte leicht mit dem in ihrem Kultur fundierten Bewußtsein des Scheins im Zusammenhang stehen: "Zur Welt kommenn wir nicht, indem wir den Schleier der Maja zerreißen, sondern indem wir den Schein steigern". Gibt es Zusammenhänge zwischen enerseits der Problematik des Scheins in dem Denken Nietzsches und die Aktualisierung dieser Gedanken in die verschiedene Philosophien der französischen Neonietzscheaner und anderseits die vermeinte Hypokrisie und Kopierlust der Japaner? Gibt es zum Beispiel Anzeige, daß Nietzsche durch das orientalische Denken beeinflußt worden ist? Ist sein Kritik auf die abendländische Metaphysik eingegeben durch seinem Erkenntnis orientalischer Kulturen? Natürlich kann die Einfluß Schopenhauers anerkennt werden. Dennoch offenbart diese Analogie sich nur nachträglich, weil die orientalische Einfluß auf die Analysen der erwähnten französischen, neonietzscheanischen Denker nämlich explizit ist: ihre Bekanntschaft mit zum Beispiel japanischen Texten und mit dem japanischen Kultur ist bedeutend und hat meiner Meinung nach in bestimmter Hinsicht ihre Einsichten beeinflußt. Es ist folglich von heutigen Neonietzscheanismus heraus interessant die Auffassung über Schein in Japan zu untersuchen. Sobald dieser Einfluß genau lokalisiert werden kann, wäre es vielleicht möglich das wechselhafte Charakter der mentale Oszillation zwischen grundlegend verschiedene Kulturen zu erleuchten. 2. Schein in Japan: ScheinHeiligkeit Das spöttische Lächeln der Abendländer über die verrufte Lust zum Kopieren der Japaner schlug, zur Zeit daß das Wirtschaftswunder sich in das Land der aufgehende Sonne vollzog, in einem erschütterten Unglaube um. Von welchem Perspektive aus könnte eine interkulturelle Analyse dieser Transformation anfangen? Die unvermutete Transformation in ökonomischer Hinsicht hat ohne Zweifel seine 'raison d'être' in der japanischer Umgang mit dem Verhältniß zwischen Schein und Sein. Aber wo mit unser Untersuchung anzufangen? Da wir, Abendländer, von einem guten Jahrhundert her bewußt worden sind, daß unseres Selbstbewußtsein bis auf sehr große Höhe durch die Sprache und zie Zeichen bestimmt ist, erscheint es mir ein vernünftiger Ansatz zuerst die japanische Schrift auf ihre Möglichkeiten zu untersuchen um etwas wie eine fundamentale Gegensatz zwischen Schein und Sein zu artikulieren. a. 'Schein' in der Philosophie:
kasho/gensho Es liegt auf der Hand die japanische Übersetzung von Platon und Hegel heranzuziehen. So würden wir auf jeden Fall mehr Sicht bekommen in die Art und Weise worauf Japaner westliche Begriffe in ihre eigene Ideenwelt übersetzen. Sowohl in Texten Platons als auch in die Übersetzungen Hegels Werke wird 'Sein' übersetzt met honshitsu. Diese zwei japanische Schriftzeichen bedeuten 'Essenz', 'Wirklichkeit' oder 'Welt der Ideen'. Aber die originale japanische Bedeutung der einzelnen Charakter weicht ziemlich ab: hon bedeutet 'Buch', 'Wurzel', 'Wirklichkeit', indessen shitsu 'Kwalität' oder 'Substanz' bedeutet. Ich sehe ab von eine weitere Analyse dieser Bedeutungsunterschiede, aber gönne der Leser seine eigene Spekulationen. Bei Platon wird 'Schein' übersetzt mit kasho, daß in die japanische Sprache 'Erscheinung' bedeutet. Das erste Charakter, ka, läßt sich übersetzen mit 'Eitelkeit', 'Flüchtigkeit', 'zeitlich' oder 'unwirklich', während das zweite Schriftzeichen, sho, die Bedeutung hat von 'Bild', 'Erscheinung' oder 'Elephant'. 'Schein' in die Texten Hegels wird auf ähnliche Weise übersetzt: gensho. Das zweite Charakter hat dieselbe Bedeutung wie bei Platon. In das erste Charakter, gen, aber bekommt die dynamische, geschichtliche Dimension des hegelschen Denkens einen adäquaten Ausdruck: es bedeutet neben 'ausdrücken' und 'sich zeichen' auch 'heute' und 'jetzt'. In verschiedene Zusammenstellungen kann der Charakter gen auch 'Auge' bedeuten: in diesem Charakter wird also das visuele Aspekt des modernen Scheins ausgedrückt. b. 'Schein' in den Humanwissenschaften:
tatemae Um den socialen Verkehr und die Individualisierung im Japan der Nachkriegszeit zu erklären wird von japanischen Wissenschaftlern nach den zweiten Weltkrieg in zunehmendem Maße eine abendländische, humanwissenschaftlich orientiertete Terminologie adoptiert. Diese Anwendung soziologischer Kategorien hältet auch durch in der Übersetzung des Begriffes 'Schein'. Japan strotzt von Dekorum, Zeremonien und Riten. In westlichen Augen empfindet mann dieses 'ritualen' Verhalten in gewissen Maße wie Staffage und sogar oft wie Hypokrisie:
"Nun, wenn die meiste Abendländer sich
diese beabsichtigte Oszillation zwischen diese beide Verhaltungsweisen
bewußt werden, könnten sie schließen, daß die
Japaner hypokrit, sogar Lügner sind: nun verhalten sie sich so
und nach einer Änderung der Unstände dann wieder ganz verschieden".
Die abwertende Ton setzt sich durch in das westliche Predikat 'Schein'. Diese wird übertragen auf die japanische, vermeinte Äquivalent. Die Japaner benützen für das äußerliche Verhalten aber der Ausdruck tatemae. Die Konnotationen dieses Begriffes sind schon Indizen für eine ganz verschiedene Bewertung: 'Prinzip', 'Politik', 'Regel', 'Basis'. Schein hat etwas zu tun mit der Struktur des hochritualisierten Soziallebens. Analysieren wir die beide Charakter tate und mae in ihre selbstständige Bedeutungen dann stellt sich sofortig die rituelle Herkunft dieses japanischen Begriffes heraus. Tate verweist nach das Verb 'stehen', 'aufstehen', 'hochgezogen werden' und 'bauen', wohingegen mae das raumliche 'vor' bedeutet. Tatemae ist ursprünglich ein Ausdruck für die rituelle Einweihung eines neugebauteten Hauses. Diese Einweihung findet statt, sobald das Gerippe fertig ist. Wir könnten hier natürlich ausführlich über das Verhältnis zwischen Weihung und Wirklichkeit spekulieren, aber auch jetzt unterlasse ich es, damit der Lezer seine eigene Phantasie freien Lauf lassen kann. Es reicht hin auf die unlösbare Relation zwischen Schein und Ritual hinzuweisen und zu betonen, daß es hier handelt um die offizielle Fassung die ein Person seinen eigenen Verhalten zudichtet. Kann die japanische Sprache doch nicht auch einen Gedanke eines Wesens zum Ausdruck bringen? Ein Wesen das hinter dem 'äußerlichen' Schein verborgen liegt? Was, mit anderen Worte, ist die oppositionellen Ausdruck von tatemae? Es gibt allerdings ein entgegengesetzter Ausdruck: honne. Diese wird übersetzt mit 'wirkliche Intention' oder mit 'Motiv'. Das erste Teil hon stimmt überein mit der 'hon' in honshitsu, das zweite ne bedeutet 'Ton'. Dieses honne hat dann auch eine sinnliche Konnotation: 'wirkliches Geräusch' oder in psychologische Sinne 'innerliche Stimme'. Obwohl dies etwas wie ein abendländisches Gewissen suggeriert, zeigt sich die Opposition tatemaehonne aber völlig bar vom moralischen Wertschätzung, der unser Gebrauch dieser Innerlichkeit immer anhaftet. Es ist eher eine neutrale deskriptive Ausdruck. Es gibt ein anderer Begriff, in dem die Integrität des Persons mehr adäquat zur Geltung kommt: makoto. Makoto artikuliert die gewalttätige Kraftsexplosion ohne Kalkul, die 'spontane' Unmittelbarkeit der Tat. Diese Ausdruck des tiefsten Selbst würde von Kant eher heterom als autonom kategorisiert. Genauer betrachtet ist darum keine Rede von eine richtige Opposition zwischen tatemae und honne. Sie können verfilzt sein: in Japan ist es möglich um zu 'heucheln' und doch gleicherzeit wahrhaftig zu sein. Öffentlich 'hypokrite' Präsentation und Erhaltung des 'Selbst'werts überschneiden sich. Die Anführungsstriche sind aber Indizen dafür, daß das Selbst oder die Identität Japaner sich kwalitativ unterscheidet von dem abendländischen Subjektivität. Wie konstituiert sich das Selbst? Gibt es hinter die erwähnte Termen eine moralische Dimension? Tatemae verweist auf giri, d.h. das Pflichtbewußtsein, das das soziale Leben der Japaner völlig beherrscht. Im Japan werden individuelle Entscheidungen immer gemacht im Hinblick auf die wa, die Harmonie der Gruppe. Ein Japaner bewertet seines Verhalten innerhalb ein pyramidal strukturierte Vielzahl von Verbindlichkeitskreisen, von denen die Familie die Grundlage und der Kaiser der Spitze bilden. Mann ist die Gemeinschaft eines Bezirks, die Arbeitskreis und die Ortsbehörden strukturell verpflichtet. Jedes Verpflichtung on erfordert eine angemessene Tilgung: giri. In der Vollziehung dieser Formalitäten, so würden wir Abendländer sagen, verwirklichen die Japaner ihre Essenz, ihr Wesen. In hegelschen Terminologie: Schein ist Sein im Werden. Gegen diese Hintergrund ist es einsichtlich, daß es bei tatemae um einen notwendigen Schein handelt. Eine Notwendigkeit im sozialen Hinsicht die übereinstimmt mit der transzendentalen Notwendigkeit des Scheins bei Kant und Hegel. Honne ist also nicht in Übereinstimmung mit der Autonomie des kantischen Subjekt. Diese japanische Variant bezieht sich in der Regel außerdem auf das Familienleben des Individuums selbst und könnte nie universalisiert werden. Wenn auch in dieser Opposition einem moralischen Wertschätzung durchklingt, betrifft es immer eine 'innerliche' Haltung, die nicht verneint wird durch die äußerliche Schein des Verhaltens: es sagt nur etwas über die eigene Erfahrung. Eine moralische Wertschätzung des Verhalten der Anderen kann nur ausgesagt werden mittels einer anderen, mehr traditionellen Terminologie. c. traditionelle Terminologie:
omote Verzichten wir auf die wortgetreuen Übersetzungen und auf die Adaption und Anwendungen westlicher soziologischen Begriffe. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das feodale, confuzianistische Japan um ein Analogon der Opposition ScheinSein zu lokalisieren, dann meldet sich ein anderes Begriffspaar an: omote en ura. Ursprünglich bedeutet omote "Außenseite der Kleidung" und ura 'Abseite'. Die übertragene Bedeutung des omoto auf die sozialpsychologische Problematik widerspiegelt wieder die Doppeldeutigkeit von tatemae: außer 1) 'draußen', 'Oberfläche', 'richtige Seite', 'Angesicht', 'Außenseite', 'Bedeckung' und 'Kleidung' bekommt es die institutionelle Bedeutung 2) 'Tabelle', 'Schema', 'Liste' und "Erinnerungsplakat des Kaisers". Die Verbform arawasu berücksichtigt dieses äußerliche Aspekt: '(an)zeigen', 'ausdrucken' und 'representieren'. Eine der Konnotationen ist instruktiv: das richtige giri. Ura bedeutet soviel wie 'innen', 'Unterseite', 'Fläche', 'Sohle', 'Rücken' und 'Rückseite', aber auch: 'umgekehrt' und 'falsche Seite'. Es ist dieses Begriffspaar das eine moralische Wertschätzung über das Verhalten der Anderen ermöglicht. Es kann also über jemandem urteilt werden, daß er sich auf die Weise des omoto benimmt. Wird diese traditionelle Opposition mit den heutigen kombiniert, dann gibt es merkwürdige Kombinationen. So kann jemanden der sich nicht auf die Art und Weise des omoto benimmt, während er doch nach ura handelt, durchaus tatemae nachkommen. Dies ist zum Beispiel der Fall wenn jemanden absichtlich etwas zurück behält und vorsätzlich einen Anderen irreführt. Dies ist kein honne, aber ura. Es gibt auch eine Möglichkeit beide Begriffe der Opposition so zu verbinden, daß sie etwas sehr zwiespältiges ausdrucken. Uraomote bedeutet nicht nur mit der Innenseite nach Außen gekehrt, aber auch Scheinheiligkeit. Diese Scheinheiligkeit ist aber nicht ganz ähnlich mit unserer Hypokrisie. Aus diese vielleicht etwas sachliche Aufzählung dürfte sich wenigstens herausstellen, daß sprechen über Sein und Schein in Bezug auf die japanische Gesellschaft und auf das Verhalten der Japaner eine heikle Sache ist. Ohne zur übereilte Schlußfolgerungen zu kommen ist es dennoch berechtigt zu konstatieren, daß die SeinSchein Problematik in Japan vor allem eine intermenschliche, sozialpsychologische und sicherlich keine ontologische oder erkenntnistheoretische Problematik ist wie ursprünglich ins westlichen Denken der Fall ist. Das Fehlen universellen Prinzipien im japanischen Denken und im religiösen Bewußtsein der Japaner erklärt, daß das Unterschied zwischen Sein und Schein immer wechselt in konkrete Umstände. Mann könnte sagen, daß diese angebliche Opposition sich gegen den Hintergund einer gewalttätige Erfahrung einer 'irrationellen' Selbst artikuliert. 3. Faszination für
Japan bei neonietzscheanischen Subjektkritiker Läßt uns jetzt, einem interkulturellen Vergleich halber, der Blick aufs Westen zurückbiegen, d.h. interkulturell reflektieren. Läßt uns neonietzschenanische Denker zu Rate ziehen die nach japanische Phänomene verweisen um etwas über den Schein im Westen zu erleuchten, ohne sich noch auf metaphysische Kategorien zu beziehen. Es hat den Anschein, daß die Verschlingung von Sein und Schein in die japanische Kultur Verwandtschaft zeigt mit Aspekten der nietzscheanischem Kultur und Subjektkritik. Und vielleicht ist daß der Grund weshalb französische Denker die sich weniger oder mehr weitgehend von Nietzsche inspirieren läßten, so fasziniert sind vom Osten und namentlich Japan. Ein beliebiger Griff aus ihre Arbeiten ergebt natürlich viele allgemeine Aufmerkungen über orientalischen Phänomene. So merkt Deleuze in einen seiner letzten Briefe an Guattari auf, daß sie verglichen werden können mit japanischen Ringkämpfer, mit Sumotori. Aber es gibt auch mehr systematische Vergleichungen, so wie bei Lyotard, wann er über den Shobôgenzô von Dôgen spricht. Es ist selbstverständlich unmöglich inhaltlich auf die verschiedene Versuche zur Übersetzung dieser einzelne Denker einzugehen. Vorläufig könnte behauptet werden, daß ihre Verweise auf Japan ein diskursiven Versuch beabsichtigen die abendländische Vorherrschaft oppositionelles SubjektDenken im Hinsicht auf eine nichtdiskursieve Erfahrung zu destabilisieren. Folgen wir historisch die Verweisungen in dieser neuzeitige philosophischen Strömung, die heutzutage als das Denken der Differenz angedeutet wird, dann formt sich das folgende kaleidoskopische Bild. a. ZenErfahrung: Satori
bei Bataille und Barthes Es gibt zuerst Bemerkungen in den Arbeiten Georges Batailles über Yoga und Zen in L'expérience intérieure (1943) und in Sur Nietzsche (1945). Dort kann man auch Zitate aus dem Werk des Zennisten Daisetz T. Suzuki und ein Verweis nach einer bekannter ZenAnekdote finden: die berühmte Tasse Thee die ein Zenmeister ein wißbegierige Abendländer anbietet.
"Bei Bataille steht die Tasse Tee für den
privilegierten Augenblick der Chance. Mit dem Zen verbindet
Bataille das paradoxe Denken, 'lehrt' jener doch ein positives Nichts,
das heißt Sein".
Dies 'paradoxes Denken' verbindet Bataille mit der Unaussprechlichkeit einer 'Innerliche Erfahrung' ein der zentralen Themen seiner Arbeiten worin die Autonomie des Subjekts momentan und gewalttätig zerstört wird. Er versucht durch Verweise nach ZenPraktiken die metaphysische Kategorieën und eine negativtheologische Erklärung zu vermeiden. In Sur Nietzsche weist er auf eine bestimmte Entwicklung des Hinduismus hin durch den Buddhismus und meint er an der innerliche Erfahrung verwandte Phänomene zu entdecken. In Appendix III widmet er unter dem Titel "L'expérience intérieure et la secte de Zen" einige sachliche Bemerkungen an diese Phänomene:
"Wie yoga ist dhyâna (japanisch:
zen) eine Übung des Atmens für ein ekstatisches Ziel.
Zen unterscheidet sich von den ordentliche Weisen durch einen
offensichtlichen Widerwille gegen weiche Formen. Das Fundament der
ZenAndacht ist die Meditation, aber diese hat nur ein Moment
der Erleuchtung ins Auge, genannt Satori. Keine einzige, denkbar
Methode ermöglicht es die Satori zu erreichen. Es ist
eine plötzliche Erschütterung, eine brutale Öffnung,
die eine unerwartete Fremdheit entfesselt".
In ein Verweis nach Nietzsches Konzept des "Willen zur Macht", das in sein Text wie ein "Wille zum Zufall" präsentiert wird, kwalifiziert Bataille den mystischen Zustand als "das neuste Gefühl der Macht und das klarste Rationalismus" das als ein Weg verwendet wird um das unmögliche Ziel zu erreichen. Bataille konzipiert sein Denken als eine 'fröhliche Wissenschaft'. Das Prädikat 'fröhlich' und das dazugehörende tragische Lächeln bilden die Leitmotive für seine Text über Zen. Dazu verweist Bataille indirekt nach dem erleuchteten schallenden Gelächter, das so treffend die losgelöste Verbundenheit des Zens kennzeichnet. Die Transzendenz "soll mann lächelnd zerstören. Wie das Kind, daß preisgegeben ist an das furchterregende jenseits (audelà) von sichselber plötzlich der intimer Genuß seiner Mutter wiedererkennt es beantwortet dieses also lächelnd". Im Appendix gibt es nach einer kurze Einleitung nur Zitate aus Suzukis Essais sur le bouddhisme zen (1944). Daß die Gewalttätigkeit der innerliche Erfahrung mit makoto übereinstimmt, wird geklärt, wann andere, spätere Texte Suzukis dazu genommen werden. In Zen and Japanese Culture (1970) heißt es, wann Suzuki das moralische Fundament von ursprüngliche Zenbuddhismus andeutet: "Übersetzt in moralischen Termen ist dieses Prinzip Wahrhaftigkeit (ch'êng)". Diese ch'êng, heißt es in ein Kapitel über japanisches Schwertkämpfen kendo , wird im Japanisch übersetzt mit makoto. Vielleicht ist es Roland Barthes gewesen, der der problematische Gehalt der japanischen Mentalität wo es die ScheinSein Opposition angeht, auf adäquate Weise aufgedeckt hat. Er versucht Japan aus semiotischer Perspectiv wie ein großes Scheinmanöver zu beschreiben. Nicht um im Griff zu bekommen was sich 'hinter' oder 'unter' den Verhaltungsweisen der Japaner verbirgt, aber um diese in ihre bedeutungsvolle, aber prinzipiell 'äußerliche' Struktur zu erfassen. Impliziet 'dekonstruiert' er damit die westliche Art des Anschauens, der westliche Blick. Im Hintergrund spielt immer die bataillanische Gedanke einer nichtdiskursiven Erfahrung. In späteren Arbeiten Barthes' wird diese Erfahrung explizit thematisiert. Weibels Hinweis auf die "Semiotisierung der Gesellschaft" geht zurück auf die semiotische Beschäftigungen Barthes' mit Japan. Sein magistraler Text über Japan L'empire des signes (1970) ist maßgebend für das neonietzscheanische Denken der Differenz zwischen Sein und Schein. In seine Anfangsbemerkungen erklärt Barthes seine Blickwinkel:
"Der Text 'kommentiert' die Bilder nicht, sie
ihrerseits 'illustrieren' den Text nicht. Beide sind für mich
Ausgangspunkte gewesen für eine Art visuellen Taumel, die vielleicht
übereinstimmt mit dem Sinnesverlust das im Zen Satori
genannt wird. In ihre Verflechtung gewähren Text und Bilder eine
freise Zirkulation und Austausch der Zeichen des Körpers, der
Antlitz und des Schrifts: es geht darum zu lesen wo sie sich verbergen".
Japan ist für Barthes eher als eine materielle Wirklichkeit eine bestürzende Erfahrung die nur semiotisch gedeutet werden kann. Er enthielt sich bewußt von einige Einfühlung und beschreibt Japan wie ein Zeichensystem. Auf diese Weise zeigt er wie unser oppositionelle Logik an der Klippe der Zeichen zerschellt:
"Zen kämpft im ganzen gegen die Verleugnungen
des Sinnes. Wie geläufig durchkreuzt der Buddhismus das fatale
Ablauf aller positiven (oder negativen) Behauptungen mit seiner Vorschlag
sich nie zu verstricken in den folgenden vier Aaussage: das ist A;
das ist nichtA; das ist gleich A und nichtA; das ist entweder A noch
nichtA. Diese vierfältige Möglichkeit korrespondiert mit
dem vollkommenen Paradigma wie der strukturellen linguïstik es
konstruiert hat"
Mit dieser Subversion der Logik von einem nichtdiskursiven Erfahrung der Wirklichkeit wird die ScheinSein Opposition zerrüttet. Barthes illustriert dies mit Verweisungen nach verschiedene theatralische KunstArten, wie das BunrakuPuppenspiel. Hier werden tatsächlich die Oppositionen "InnenAußen" und "beseeltunbeseelt" vernichtet. Die Zuschauer wirden aber nicht gestört von die Anwesendheit der manipulierenden Puppenspieler:
"wann es handelt um den fundamentalen Gegensatz,
denjenigen des beseelte und unbeseelte, verwischt das BunrakuTheater
diesen, wischt ihn aus ohne einer der beide Termen zu bevorzugen".
Und kurz darauf:
"Das BunrakuTheater kehrt nicht sofort die Beziehung
SaalBühne um (...); was um so gründlicher ändert, ist
die dynamische Asche die vom Personage zum Aktor lauft und die bei
uns immer betrachtet wird als die expressive Ausweg einer Innerlichkeit".
Hinter dem vermeintliche Schein der Puppe offenbart sich keine expressive Wirklichkeit der Spieler woraus der Schein ihre Bedeutung herleitet. Wie übersetzt Barthes dieser Einblick in der japanischen Heiligheit des Scheins in Termen der westlichen Gedankenwelt und wie verbindet er diese mit der Gedanke einer konstitutiven, der Subjekt zerreisenden Erfahrung? Seine Bemerkungen in Le plaisir du texte (1973) Batailles philisophische Gedanken werden hier unter einem strukturalistischen und semiotischen Blickwinkel aktualisiert geben ein Hinweis. Vorausgesetzt das die Fortwirkung nicht so eindeutig ist und andere Faktoren immer auch eine Rolle spielen, kann in Le plaisir du texte die Übertragung der SatoriErfahrung in die Praktik des Lesens oder lecture zurückgefunden werden. In diesem Buch werden seine vordem strikt semiologische Analysen die noch stark unter den Einfluß vom Strukturalismus stehe mit libidinösen Komponente ergänzt. Nach dem Vorbild Batailles thematisiert Barthes der Genuß, der das Lesen und das Schreiben generieren. Die ZenErfahrung transformiert sich zum subversive Kraft der sich in dem Schreiben und in das Lesen, in der écriture und in der lecture, manifestiert als die Subversion jeder Sinngebung. Die Bemerkungen über Satori aus L'empire des signes kehren in dieses Buch zurück:
"Der Schriftsteller befindet sich immer auf
eine blinde Fleck der Systeme, ins Treiben; er ist ein Joker, ein
Mana, ein Nulgrad, der Blinde beim Bridge: notwendig für die
Bedeutung (der Kampf) sondern selbst entbehrt er eine feste Bedeutung
(...) Er steht außer der Tausch, versunken im Nonprofit, das
mushotoku des Zen, ohne Wunsch etwas zu erobern außer
das abartige Genuß der Worten (aber der Genuß ist nie
eine Beute: nichts trennt es von dem satori, vom Verlust)".
Barthes benutzt hier, inspiriert durch Bataille und zurückkehrend nach Nietzsche, die ZenTerminologie um eine paradoxe Bewegung die Affirmation des Genuß die notwendigerweise die Aufhebung des Aktors zu Folge hat um die abendländische Kategorie des Autors und damit die epistemologische Kategorie des autonomen Subjekts zu subvertieren. Zen wird von Subjektkritiker offenbar geschätzt seiner subversiven Wirkungen halber:
"(Umgekehrt verstehe Ich unter subtile Subversion
die welche nicht gerade auf Vernichtung ansteuert, die das Paradigma
ausweicht und ein andere Terminus sucht: einen dritten Terminus
der aber kein Term der Synthese ist, sondern ein exzentrische, ongehörte
Term. Ein Beispiel? Vielleicht Bataille, der den idealistischen Terminus
durch een unvermutetes Materialismus aus der Fassung bringt,
in denen das Laster, die Andacht, das Spiel, die unmögliche Erotik,
usw. statt finden; so stellt Bataille die Keuschheit nicht die sexuelle
Freiheit, sondern ... den Lach gegenüber.)"
Bei Barthes ist das zerrüttende Lächeln so hervorragend anwesend bei Bataille die Gipfel der Subversion. Daß ist vielleicht auch der nietzscheanische Grund weshalb Bataille nicht sosehr in die Keuschheit und Frommigkeit der Mönche interessiert war, sondern in die Fröhlichkeit der ZenMönche. Damit unterscheiden diese sich von die westliche Mönche mit ihren tödliche Ernst, was von Umberto Eco in seine Roman Die Name der Rose so eindrucksvoll zur Papier gebracht ist. b. Japan und das Denken
der Differenz: Foucault, Deleuze, Lyotard Die Denker der Differenz, die im sechziger Jahre die Konture ihrer späteren Philosophie auseinandersetzen, beschäftigen sich auch explizit mit dem japanischen Kultur. So vergleicht Michel Foucault in "Sur la sellette" (1975), daß in der deutschen Übersetzung die eloquentere Titel "Die fröhliche Wissenschaft des Judos" bekommen hat, die Wirkungen einer disziplinierenden, mikrophysischen Macht mit den Grundprinzipien des Judos:
"Daß sich der Gegner auf ihren Zugriff
wirft und ihn in seinen eigenen Zugriff verwandlen will, offenbart
gerade den Wert des Einsatzes und die Strategie des Kampfes: wie beim
Judo ist die beste Erwiderung auf ein gegnerisches Manöver nicht
das Zurückweichen sondern seine Ausnutzung für sich selbst
als Ausgangspunkt für die nächste Phase".
Foucaults Verweis nach dem Judo ist eine Antwort auf der Frage, ob seine Untersuchungen die Disziplinierung nicht wieder in der Hand wirkt: die durch ihn bezweckte disziplinierenden Machtswirkungen würden die Ergebnisse seiner Untersuchung unvermeidleich wiederverwerten. Weiter gibt er in seinen Histoire de la sexualité. La volonté de savoir (1976) Bemerkungen über die 'Ars Erotica'. Ein ganz andere Verhältnis zwischen die Lust und die Wahrheit wird hier beabsichtigt. Diese Art unterscheiden sich prinzipiell von der im Westen entwickelte 'Scientia Sexualis', worin die Erfahrung vollig konzeptualisiert ist. Auch hier wird indirekt auf den Erfahrungsgehalt des Denkens und ein paradoxes Genuß präludiert. Diese spätere Bemerkungen nuancieren eine frühere, noch von Strukturalismus bestimmten, methodologischen Gedanke, die Foucault in der Einleitung von seinem ersten Studie Wahnsinn und Gesellschaft (1961) aufgeworfen hat: es gäbe einen radikalen Bruch zwischen das orientalischen und abendländischen Denken:
"In der Universalität der abenländischen
Ratio gibt es den Trennungsstrich, den der Orient darstellt: der Orient,
den mann sich als Ursprung denkt, als schwindeligen Punkt, and dem
das Heimweh und die Versprechen auf Rückkehr entstehen, der Orient,
der der kolonisatorischen Vernunft des Abendlandes abgeboten wird,
der jedoch unendlich unzugänglich bleibt, denn er bleibt stets
der Grenze. Er bleibt Nacht des Beginns, worin das Abendland sich
gebildet hat, worin es aber auch eine Trennungslinie gezogen hat.
Der Orient ist für das Abendland all das, was es selbst nicht
ist, obwohl es im Orient das suchen muß, was seine ursprüngliche
Wahrheit darstellt."
Die hegelschen Ton und die vom Strukturalismus hergeleiteten, absoluten Diskontinuität wird allmählich durch Foucault verlassen. Bemerkungen in Zweigespräche bestätigen die Vermutung, daß Foucault, in Übereinstimmung mit der Gedanke Derridas, in Japan das Andere als nichtredizierbares Supplement vom Westen sieht: Das Supplement ist eine notwendige Möglichkeitsbedingung die gleicherzeit die Unmöglichkeit von dem was es bedingt, einstellt. Japan oder: die Orient ist also kein Ursprung, sondern das Andere das nie aufgehoben worden kann. In die Zusammenarbeit Foucaults mit Gilles Deleuze manifestiert sich auch diese gleiche Faszination für die Orient und Japan. In Werke der 70er Jahre wie Différence et répétition (1968) und Logique du sens (1969) haben Deleuzes Anmerkungen einen systematischen Gehalt. In dieser Bücher wird die Aufmerksamkeit der Leser aufs Neue auf die Humor des Zen gelenkt. Damit die Kritik auf westliche Subjektivierungen positiv kritisiert werden kann, und die abendländischen Strategien, wie Ironie und Parodie, in einen interkulturellen Kontext eine neue Bedeutung bekommen, stellt Deleuze die ZenHumor gegenüber die Ironie. Deleuze zufolge, ist der Ironiker noch immer auf der Suche nach erste Prinzipien, während die Humor vor allem die des Zens gerade die logische Zusammenhang zerbricht: "Das Schicksal der Ironie im ganzen ist gebunden an die Repräsentation; die Ironie garantiert die Individuation des Repräsentierten oder die Subjektivierung des Repräsentierten," bemerkt er später in Dialogen (1977). "Der Humor ist eine KUnst der reinen Ereignisse. Die Künste des Zen, Bogenschießen, Gartenanlegen sind Übungen, um das Ereignis auf reiner Oberfläche zur Erscheinung zu bringen, jählich aufleuchten zu lassen". Mit Félix Guattari publiziert Deleuze verschiedene Bücher. Kritisiert Foucault der Macht und versucht er unter Hinweis auf orientalische Praktiken einen anderen Perspective ein zu nehmen, Deleuze und Guattari versuchen auf analoge Weise in einer Kritik auf Marx (capitalisme) und Freud (schizophrénie) den abendländischen Wunsch zu transformieren. In das zweite Teil des Capitalisme et schizophrénie. Mille Plataux (1980), vor allem in das Artikel "Comment se faire un corps sans organes?", gibt es ein umfangreicher Verweis. In diesem Kapitel, worin Artauds Theater der Grausamkeit mit orientalische Pratiktiken verglichen wird, gehen sie ausführlich ein auf dem Tao. Wie bei Bataille und Barthes ist ihr unmögliches 'Object' eine nichtdiskursive Erfahrung: 'hinter' den Schein der Zeichen verbirgt sich ist kein Sein, sondern eine Ereignis, eine nichtartikulierte Erfahrung. Auch in den Arbeiten Deleuze und Guattari verlieren durch die Aufhebung des subjektorientierten Wunsches und durch die Radikalisierung des Scheins die Dichotomien InhaltForm, SignifiantSignifié, RepräsentiertesRepräsentanten und zum Schluß SeinSchein ihre Beredsamkeit. Auf structurell gleiche Weise bringt JeanFrançois Lyotard, dessen frühe Arbeit wie bei Barthes und Deleuze eine semiotisch überdeterminierte, libidinöser Orientation hat, in sein Band Dispositifs Pulsionels (1973) das Verhältnis zwischen dem nietzscheanischen Nihilismus und die ZenKultur am deutlichsten zum Ausdruck. In eine völlig von nietzscheanischen Terminologien durchtränkte Abhandlung interpretiert er eine von dem japanischen NoTheoretiker Seami entwickelten Theatertheorie wie eine reine Semiologie. Die für das NoSpiels konstitutiven Leere wird zur Sprache gebracht um das Subjekt als "ein Produkt der Representationsmaschine" anzeigen zu können. Auch hier wird einen Vergleich mit dem Theater der Grausamkeit Artauds ausgearbeitet:
"Wie Seami hat auch Artaud gezögert. Aber
sein Zögern tendiert in die entgegengesetzte Richtung. Artaud
will durchaus nicht die Maschinerie des Guckkastentheaters, d.h. des
europäischen, zerströren, sondern einzig die Vorherrschaft
der artikulierten Sprache aufheben und die Vernachlässigung des
Körpers beseitigen."
Daß Artaud immer zur Sprache gebracht wird, ist kein Zufall. Auch dieser Erneuerer des Theaters hat sich auf andere Kulturen, namentlich die orientalische orientert um die Narrativität und das begriffliche Gehalt des abendländischen Theaters zu kritisieren. Trotz einer ausschöpfenden Kategorisierung der Handlungen des NoSpielers und der Plots was von Lyotard also wie ein Zeichentheorie gedeutet wird verweisen diese 'äußerliche' Zeichen nicht mehr nach einer zurückliegende Wirklichkeit, aber konstituieren sie selber eine Wirklichkeit: "die Blüte der Interpretation, die als absolute Interpretation aufgefaßt wird, ist die NichtInterpretation" schreibt Lyotard wörtlich. Die Maske als Ausdruck des Scheins hält der Spieler nicht so sehr davon ab sein Innerlichkeit aus zu drucken: der Schauspieler fällt völlig damit zusammen. Er repräsentiert nicht, aber präsentiert sich wie ein totales Zeichen, das funktioniert wie ein Transformator: natürliche und soziale Energien werden vergeudet um Affekte in die äußerste Intensität zu produzieren. Intensität ist das was beabsichtigt wird. Lyotard scheut sich nicht davor in dieser Wirkungen Nietzsches Wille zur Macht zu erkennen. Denn "sollte mann nicht Nô mit puissance, Macht, might übersetzen, im nietzscheanischen Sinne also, im gleichen Sinne wie Artaud Grausamkeit verwendet?". Auch nun liegt der Akzent auf Präsentation, nicht auf Repräsentation. Die erwähnten paradoxen Formulierungen sind übrigens karakteristisch für die Sprache der Denker der Differenz: als wollten sie den logischen Kraft der Lesern zerbrechen. Es ist als gäben sie auf eine fast zennistische Weise ein Koan ein paradoxal formuliertes Meditationsrätsel auf. In Économie libidinale (1974), namentlich in das Kapitel "Le capital" verweist Lyotard wie Foucault über chinesische erotische Praktiken und in seinen Arbeiten der spätere 80er Jahre verarbeitet er, wie im Einleitung schon erwähnt werde, Texte von berühmten Zenlehrer wie Dôgen um die vorherrschende Metapher des Spiegels im abendländischen Philosophie zu zerbrechen. 4. Subjektkritik: jenseits
des Plagiats Das unüberbrückbare Unterschied zwischen dem platonischen Denken und der japanischen Denkart liegt vielleicht hierin, daß die Japaner keinen transzendenten Gott kennen. Dadurch nimmt für die Japaner das Konkrete sowohl das Beseelte wie das Unbeseelte in sich auf. Ewigkeit (Sein) und Vergänglichkeit (Schein) stehen einander nicht in eine Opposition gegenüber. Oder könnten wir sagen, daß für ihnen nur der Vergänglichkeit ewig ist, so wie für Herakleitos das Werden der Wirklichkeit ausmacht? Daß die Japaner sich ihre Vergänglichkeit immer bewußt sind wird eben ausgedruckt in das Nationalsymbol des Kirschblütens: darin wird ein kurzes, aber zutiefst intensives Leben, das jeden Moment entrissen werden kann, symbolisiert. Das buddhistische kasho, wovon am Anfang der Rede war, als eine Übersetzung des platonischen Scheins ist davon ein Ausdruck. Ich habe eher darauf hingezeigt, daß die positive Wertung japanischer Phänomene von Denker der Differenz zusammenhängt mit ihren Kritik auf den Subjekt. Aber hat dies zum Konsequenz, daß es kein Japanischen Ich oder Subjekt gibt? Das ist natürlich quatsch. Selbstverständlich gibt es einen ausgeprägte IchBewußtsein, das sich artikuliert wie ein kohärenten Gedankenwelt und ein konzentrierten Gefühlsleben. Van Wolferen weist darauf hin in sein Buch Japan. De onzichtbare drijfveren van een wereldmacht (1989), wenn er behauptet das "(er) davon überzeugt ist, daß die Japaner Individuen sind, sämtlich 120 millionen. Vielleicht daß sie nicht alle für ihre Individualität eintreten wollen: die meiste sind so indoktriniert daß sie das nicht machen. Aber Ich bin da eine Menge begegnet die wie eine eigne Person gesehen werden und nicht wie ein identischen Mitglied einer Gruppe". Gegeben die turbulente Entwicklungen in das Japanische sozialpolitike Leben, ist dies eine wertvolle Bemerkung. Dennoch impliziert diese keine Verneinung von meinen Observationen. Daß es für die abendländische Mensch ein deutliches, ansprechbares mental und emotionales Zentrum konstatierbar ist, beseitigt trotzdem nicht, daß Japaner die Wert von ihrer Verhalten und Handlungen nicht in Kategorien der Originalität und Autonomie aussprechen. Außerdem, sobald sie dieses IchEmpfinden praktizieren, daß heißt, wann sie wie ein Individu entschließen, sind alle diese IchMomente immer Funktionen der Harmonie, der wa des Gruppes. Daraus könnte man schließen, daß honne kein Kantisches Imperatif impliziert. Wie gesagt: obwohl in ne die Konnotation artikulierter Geräusch oder Musik aufklingt, und die Verführung groß ist hier eine innerliche Stimme wie Kants kategorischen Imperatif zu erkennen, geht es hier nicht um eine Subjektgerichtete Intention. Die rutuallen Scheinmanöver des on, wa und giri konstituieren noch immer der SelbstAchtung der Japaner. Diese sind nur von oberflächlichen Betrachtung aus vergleichbar mit Kants Pflicht. Eine kritische Befragung stellt heraus, daß Dichotomien wie transzendentimmanent, autonomheteronom und individuellsozial nicht zutreffend sind. Nicht das von Kant analysiertes individuelle, rational bestimmte, reine Gewissen, sondern das auf Reinheit orientierte Selbstopfer und eine ekstatischen Erfahrung makoto gehört zum Eigenwert der Japaner. Kants in eine UniversalVernunft fundierte Selbstachtung wird durch die Japaner, wenn sie schon in dieser Weise über sichselbst reflektieren könnten, vielleicht wie die höchste Form von Egoismus empfinden. Ich bin der Meinung, daß die oben erwähnten Denker der Differenzen meinen, daß die nietzscheanische Kritik auf die platonischen Opposition "SeinSchein" eine positive Ausdruck findet in das japanischen Denken. Diese Einsicht könnte als der Grund ihrer vielfältigen Verweisungen angemerkt werden. Hiermit wird aber kein philosophischen Imperialismus verübt, wie es oft der Fall war. Sie geben ja zugleich zu erkennen, daß eine adäquate Betrachtung der japanischen Kultur eine unvermeidliche Rückwirkung hat auf unseren kategorialen Art des Denkens. Prägnant formuliert impliziert das Denken des Anderen eine fundamentale Änderung, was ein Effekt der Hinsicht in der Supplementarität beider ist. Vielleicht liegt in dieser Wechselwirkung der interkulturellen Wert ihrer Observationen. Daß es immer auch Japaner gab, die in des Denken der Differenz interessiert waren, ist vielleicht eine Unterstützung des Idees der Supplementarität. Können wir nach diesen Betrachtungen noch auf pejorative Weise über die japanischen Kopierlust sprechen ohne zugleich die kategorialen Präsuppositionen unseres eigenen Denkens zu kritisieren? Ein Verneinung durchhalten, so darf die Konklusion dieser interkulturellen Betrachtung lauten, heißt für alles sich krampfhaft an einer platonischen Unterschied zwischen Schein und Sein und an dem damit verbundenen Kult der Originalität festhalten. Es sollte kein neues Mißverständnis geben: Denker der Differenz plädieren nicht für eine Adoption orientalischer Denkweisen, damit abendländische Probleme gelöscht werden können. Das würde aufs Neue eine Reduktion der prinzipiellen Alterität bedeuten. |