WIDERSTANDSMOMENTE ALS ELEMENTE EINES NEUEN LEBENSSTILS

 

- "Widerstandsmomente als Elemente eines neuen Lebensstil" in: H.Kimmerle (Hrsg.) Das Andere und
das Denken der Verschiedenheit. Grüner Verlag, Amsterdam, p.211-233.

 

Macht und Widerstand im Denken Michel Foucaults

Seit dem Erscheinen des Buches Surveiller et punir im Jahr 1975 wird Michel Foucault als der Philosoph der Macht angesehen. In diesem Buch vertritt er die Ansicht, dass die Milderung im Strafvollzug der letzten Jahrhunderte in erster Linie kein moralisches Phänomen ist. Diese kann nicht als Folge einer humanitären Entwicklung aufgefasst werden. Eher ist sie durch eine fundamental andere Wirkung der Macht seit dem Anfang der modernen Zeit, d.h. seit etwa 1800, zu erklären. Ein Jahr später beschriebt er in La volonté de savoir unsere Sexualität als eine Folge positiver und produktiver disziplinärer Machtwirkungen statt bürgerlicher Repression. Die vermeintliche Allgegenwart der Machtwirkungen lässt den Verdacht entstehen, dass Widerstand gegen diese ungreifbare Macht unmöglich geworden ist. Foucault beschränkt sich im Hinblick auf möglichen Widerstand auf sehr allgemeine Bemerkungen. Diese Behutsamkeit ergibt sich aus seiner Verweigerung, im Namen deren zu sprechen,die sich gegen die Macht empören. Doch kreist sein Denken im Sprechen über die Macht fortwährend um den Widerstand. Die Erfahrung des modernen Menschen in seiner Innerlichkeit die Subjectivität ist ein Produkt der disziplinären Macht. Sie wird durch eine Wechselwirkung zwischen der disziplinären Macht und des anthropologischen Wissens, das sich erst im Laufe der 19. Jahrhundert artikuliert, produziert. Die Analyse Foucaults scheint für seine Gegner die Unvermeidlichkeit dieses Folgezusammenhangs zu bedeuten. Er is für sie in fast macchiavellistischem Sinn der Philosoph der Macht: zynisch, fatalistisch und konservativ. In seinem Denken ist ihrer Meinung nach kein Platz für die Veränderung der Gesellschaft durch Widerstand. In diesem Text wird versucht das Argument der Gegner Foucaults zu widerlegen. Das bedeutet, Foucault wird präsentiert als der Philosoph des Widerstands. Es wird also ein anderes Wahrheitsspiel gespielt. Dazu erörtere ich zunächst die Beziehung zwischen Macht und Freiheit. Weiter analysiere ich in systematischer Weise den Begriff des Widerstands, der implizit im Denken der Macht anwesend ist. Danach wird met Hilfe dieser neuen Begriffe eine sehr beschränkte Analyse neuere gesellschaftlicher Entwicklungen in der abenländischen Kultur ausgeführt. In dieser Analyse wird Foucaults Einsatz als Historiker als Hersteller "einer Geschichte der Gegenwart" gepruft. Zum Schluss skizziere ich eine Perspektive für ein positives Verständnis der Momente des Widerstands. Dazu benütze ich einen Begriff aus den letzten Büchern Foucaults, nämlich den Begriff des Lebensstils.

1. Macht

Zuerst aber einige kurze Bemerkungen über die Art der Machtwirkungen in der modernen Zeit. Über die Möglichkeitsbedingungen der modernen Erfahrung sprechen,setzt aber schon ein Distanz zur modernen Epoche voraus. Gerade durch diese Distanz zur modernen Zeit wird das Denken Foucaults ermöglicht. Er spricht in Surveiller et punir im Falle der modernen Selbsterfahrung als delinquenter Erfahrung von einer "mode d'assujettissement spécifique" einem spezifischen Modus der Unterwerfung, in dem man den Begriff "Subjekt" auf zweierlei Weise verstehen soll. In einem Text von 1980 beschreibt er dies in folgender Weise: "There are two meanings of the word "subject to someone else by controle and dependence; and tied to his own identity by a conscience or selfknowledge." Diese doppelte Bedeutung als Unterwerfung und zum Subjekt gemacht sein ist sehr wichtig. Sie zeigt die positive und produktive Wirkung der Macht in disziplinären Praktiken, namentlich in Familie, Schule, Fabrik, Krankenhaus, Klinik und Gefängnis. In diesen Praktiken werden normalisierende Machtwirkungen eingesetzt, durch die es für das Individuum möglich wird, sich als ein sinvolles, d.h. normales oder abweichendes Wesen zu erfahren. Zwischen den Disziplinierungstechniken und den Menschwissenschaften gibt es eine strenge Wechselwirkung: Wissen wird durch die Beobachtung und die Registrierung des praktischen Verhaltens erweitert. Dieses erweiterte Wissen wird aufs Neue eingesetzt, damit die Kontrolle und Regulierung der produktiven Kräfte optimalisiert werden Macht und Wissen brauchen nun aber keine wahrheitsfundierende Instanz ausser ihrer Wechselwirkung. Die Wahrheit sucht man nicht mehr in einer hoheren Ordnung Logos, Gott, Ratio sondern in der Tiefe des Menschen: z.B. Freuds Unbewusstes. Die Identitäten, in denen der Mensch sich als ein sinnvolles Wesen erfahren kann, werden in einem Wissen produziert,in dem das Subjekt gleichzeitig Objekt und Ursprung dieses Wissens ist. Inden Diskursen des medizinischen, psychologischen, pädagogischen, kriminologischen und sexuologischen Wissens werden so Identitäten produziert, die die Erfahrung des Individuums als normal oder abweichend zur Folge haben. Normalität ist in dieser Weise ein Produkt. Der Einsatz der Menschwissenschaften in diesen normalisierenden Praktiken ist essentiell für die Machtwirkungen. Macht und Wissen sind unauflöslich miteinander verknüpft. Worauf artikuliert sich nun diese Macht? Auf dem Körper mit seinen Kräften und Lusten. Sie sind das Ziel dieser Besetzung mit Identitäten. Mittels des anthropologischen Wissens und in der Beobachtung und Registrierung des Verhaltens wird eine strenge Regulierung und Kontrolle des Verhaltens möglich. In dieser Beobachtung werden aber immer wieder neue Erkenntnisse produziert über die Art und Weise, in der der Körper der Disziplinierung entrinnt. Ein erneuter strategischer Einsatz der Macht ist das Resultat. Das Prinzip der Macht liegt aber in folgendem:

"La 'discipline' ne peut s'identifier ni avec une institution ni avec un appareil; elle est un type de pouvoir, une modalite pour I'exercer, comportant tout un ensemble d'instruments, de techniques, de procédes, de niveaux d'application, de cibles; elle une 'physique' ou une 'anatonomie' du pouvoir,une technologie"

In einem Dispositiv dessen innere Mechanismen das Verhältnis herstellen, in dem die Individuen sich als normal oder abweichend artikulieren. Folglich hat es von dieser Perspektive aus wenig zu bedeuten wer die Macht ausubt. Die Machtwirkungen sind also nichtsubjektiv. Dennoch gibt es darin eine Rationalität und Intentionalität. Diese ist fundiert in der Verteidigung der auf Nutzen und Produktivität eingestellten Gesellschaft. Dies fordert die Neutralisierung jedes Widerstands heraus der unproduktiven und widersetzlichen Kräfte des Körpers durch den Einsatz immer neuer Stategien. Darum ist die disziplinäre Macht im Kern nicht ontologisch, sondern taktisch. Sie ist kein metafysisches Prinzip, sondern eine nominalistische Einheit. Die Machtanalysen Foucaults können nicht in eine Theorie der Macht ausmunden. Lokalität und Spezifizität sind fundamental für seine genealogischen Arbeiten.

2. Freiheit

Gibt es in einer derartigen Auffassung der Macht noch Raum für Freiheit? Wenn ja, wie sieht diese dann aus? Freiheit,so schreibt Foucault, sollte in der Existenz der Macht mitgebracht werden. Sie ist die Bedingung der Macht. Wenn das Verhalten vollig der Willkür der Anderen ausgeliefert wäre, könnte gar keine Rede von einem Machtverhältnis sein, sondern von einem des Zwanges und der Sklaverei. Jedoch, in jedem Verhältnis der Macht gibt es ein Element der Freiheit. Der Macht wird durch den Selbstmord, den Mord am Herrscher oder die Flucht eine Grenze gesetzt. Gewöhnlich gibt es mehrere Alternativen des Verhaltens, obgleich diese aus der Perspektive des Kampfes gegen Beherrschung und Ausbeutung nicht als Freiheit bezeichnet werden. In den Praktiken der Erziehung, Verheiratung und Arbeit ist der Einsatz einer Gegenstrategie immer möglich. Schwindel, List und Erpressung können die Macht wehrlos und ineffektiv machen. In diesem allerdings sehr weiten Sinne gibt es in einem Machtverhältnis auch immer Widerstand. Dieser bewegt sich in der Randzone der Freiheit. Wenn wir die Arbeiten Foucaults in 3 Zeitabschnitte einteilen vor 1970, 19701976 und nach 1976 dann ist es möglich in seiner Arbeiten drei Freiheitsbegriffe zu unterscheiden.

A. In Histoire de la folie beschreibt er Internierungspraktiken der Vernunftlosigkeit. In dieser Gefangenschaft manifestiert sich die Freiheit als das Wuten und Toben des Wahnsinnigen. Der Wahnsinnige ist souverän in seiner Animalität.

"Au contraire,elle (die Animalität,ho) la (der Wahnsinn,ho) place dans UN ESPACE D'IMPREVISIBLE LIBERTE ou se dechaine la fureur; si le déterminisme peut avoir pris sur elle, c'est sous la forme de la contrainte, de la punition et du dressage."

Foucault verbindet weiter den Wahnsinn sowohl mit der Wahrheit als auch mit der Freiheit. Die Wahrheit des Wahnsinnigen zeigt sich in seiner absoluten Form im Wuten und Toben. Hier berührt der Wahnsin das Gottliche, das die äusserste Wahrheit des Menschen bedeutet. Der Wahnsinn kann aber nicht über einen Diskurs verfugen, der ihm selbst entspringt. Der Wahnsinn zeigt sich nur an den Zeichen des Körpers.

B. Im Falle einer anderen abweichenden Erfahrung ist die Möglichkeit eines Diskurses wie bündig auch immer ganz bestimmt anwesend. In Surveiller et punir zeigt Foucault, wie dasjenige, das jenseits des Vernünftigen und des Normalen liegt, selbst eben eine Stimme bekommt. Er illustriert dieses anhand einer Vernehmung eines 13 jährigen Gesetzübertreter, genannt Béasse, durch einen Richter. Béasse stellt dem durch Wahrheit und Normalität gestuzten Diskurs des Richters den Gegendiskurs eines Gesetzübertreters entgegen.

"En fase de la discipline au visage de loi, on a l'illegalisme qui se fait valoir comme un droit; plus que par l'indiscipline que se fait la rupture. Indiscipline du langage:(...) Indiscipline qui est celle de la liberté native et immèdiate:(...) Indiscipline dans les relations familiales:(...) Et à travers toutes ce menues indiscipline, c'est finalement, la 'civilisation' tout entière qui est récusée, et la 'sauvagerie' qui fait jour;(..)"

Dieser ist im Kern der Diskurs des Anderen als eines Abweichenden. Darin lehnt er jede normale Identität ab und stellt dieser die Positivität des Abnormalen gegenüber: kein Haus, keine Arbeit, keine Eltern, keine Zukunft. Béasse verweigert es,seine Erfahrungen des Abnormalen als das Negative einer Norm klassifizieren zu lassen. Ernormiert sein eigenes Wahrheitspiel das seinen innerlichen Prozesses Bedeutung gibt und eine positive Erfahrung eines "abweichenden" Selbst ermöglicht.

C. In den letzten Arbeiten L'usage des plaisirs und Le souci de soi analysiert Foucault die antiken Selbstpraktiken, in denen der freie griechische Mann des 4. Jahrhundert vor Christus sich selbst einer Askese unterwirft, damit er zu einem idealen dasein gelangt. Foucault sieht, dass hier ein ganz andere Wechselwirkung entbehrt jeden Elements der Normalisierung. Aber ebensowenig handelt es sich um die ausschliessende Wirkung des Gesetzes. Die existierenden Gesetze im Bereich der Sittlichkeit spielen in dieser Untersuchung nahezu keine Rolle. Der Aspekt der Ethik, den Foucault zum Thema macht, ist die Beziehung, die das Individuum in Bezug auf seine eigene Lust und deren Beherrschung einnimmt. Die Konstituierung des Individuums zu einem ethischen Subjekt verläuft über die Askese. In dieser Selbstbeherrschungpraktik schafft das Individuum sich selbst wie ein Kunstwerk, das Nachbildung verlangt. Diese Lebensstilisierung ist in diesem Sinne zugleich eine Daseinsästhetik. Es gibt hier keinen universellen Kodex, der für jeden gilt. Dieser wird erst mit dem Anfang des Christentums ermöglicht werden. Darüber hinaus ist die Askese auf die spezifische Situation der jeweiligen Person zugeschnitten. Das Individuelle und das Soziale gehen in der Askese ineinander über:

"Mais pour la pensée grecque de l'époque classique, l' 'ascètique' qui permet de se constituer comme sujet moral fait intégralement partie, jusque dans sa forma même, de l'exercice d'une vie vertueuse qui est aussi la vie de l'homme 'libre' au sens plein, positif et politique de terme."

In dieser Verknüpfung zeigt sich dann auch die Freiheit. Sicherlich hängt sie nicht an der vermeinlichen Souveränität des Ich, das sich selbst der Objektivität der Welt und dem Undenkbaren des Anderen gegenüber trotz aller beherrschung dennoch frei und autonom denkt. In diesen Freiheitsbegriffen geht das Persönliche in das Soziale über. Das Selbst wird hier eher eine Funktion dieser Verdoppelung als sein Ursprung. Die Beziehung zur Wahrheit liegt in der 'Sophrosyne', dem Endzustand der mässigung und Weisheit. Im Denken dieser Freiheitsbegriffe sollte man aber den Fallstrick der Ontologisierung vermeiden. Die vermeintliche Reinheit und Spontanität des Wahnsinns, der Gesetzübertretung oder des Begehrens sind wie in einem noch unerschlossenen Feld als Gegenbild der Verbote anwesend. Auch sollte man den nicht artikulierten Raum 'unter ' den Verboten nicht in einer kausalen oder fundierenden Beziehung zu seinen Artikulationen denken. Zwischen beiden Dimensionen gibt es eher eine Wechselwirkung, die kontinuierlich ist: die Überschreitung in die nicht artikulierte Dimension besteht nicht ohne die Rückkehr zum Verbot.

3. Widerstand

Wie kann der Widerstand gedacht werden? Zuerst gibt es Widerstandsherde und keineswegs einen totalisierten Widerstand z.B. unter dem Banner einer Partei. Widerstand ist keine Sache des Alles oder nichts. Dies verhindert aber nicht, dass der traditionelle Widerstand der politischen Parteien als ein Aspekt des Widerstands durch Foucault akzeptiert wird. Sie nehmen ihren Platz ein im Prozess der Befreiung als dem Kampf gegen Beherrschung und Ausbeutung. Dies ist aber nicht die spezifische Perspektive, unter der Foucault die Freihet denkt. Er unterscheidet zwischen Befreiungs und Freiheitspraktiken. Dort wo der Widerstand gegen die Beherrschung und Ausbeutung revoltiert, spricht er über den Prozess der Befreiung. Diese Praktiken bewahren ebenfalls nicht eine effektive Erfühlung des Begriffs der Freiheit. Erst durch die Freiheitspraktiken, die in der Verlängerung dieses Prozess liegen, wird der Kampf, den wir heutzutage führen sollten, ermöglicht.

" Maybe the target nowadays is not to discover what we are, but to refuse what we are (...) The conclusion would be that the political, ethical, social,philosohical problem of our days is not to try to liberate the individual from the state and from the institutions,but the liberate us both from the state and from the type of individualization which is linked to the state. "

In all den Wissensbewegungen steht also eine Sache im Zentrum der Kampf für die Erfahrung,die sich auf wie er in La volonté de savoir argumentiert den eigenen Körper und seine spezifischen Luste gründet, d.h. in der sich "eine andere Ökonomie der Körper und der Luste" zeigt. Von dem Ausgangspunkt der konkreten Gestalten des Widerstands aus kann man die Vielheit dieser Artikulationen systematisch in drei Momente auseinander legen.

A. Das erste Moment des Widerstands liegt dann im Körper mit seinen Wunschen oder wie es is Surveiller et punir heisst: im Körper und seinen Kräften,die in diesem Zusammenhang einen unproduktiven, verschwenderischen und rebellischen Widerstand gegen die Disziplinierung und die Normalisierung leisten. Die Disziplinierung ist eine antinomadische Technik, die das Ausschweifende, das Nomadische zu fixieren und zu regulieren versucht. Sonst wo nennt Foucault dieses nomadische auch die 'Plebs': "(...) die Existenz oder Nichtexisrenz einer 'Plebs' als der ständigen und immerfort stummen Zielschreibe der Machtdispositive." Und aufs Neue warnt er vor der Gefahr der Ontologisierung dieses Begriffes. Eher geht es um "etwas 'Plebejisches", das sich nicht nur im gesellschaftlichen Körper, sondern gleichwohl auch im individuellen Körper manifestiert wie ein zentrifugales Moment, eine Grenze, die nicht als der Macht äusserlich, sondern gerade als ihr notwendiges Limit gedacht werden soll. In der Besprechung der Freiheitsbegriffe erhielt dieses este Moment seinen Ausdruck in der Freiheit des Wahnsinnigen. Dies ist indessen ein Grenzfall. Er zeigt das Körperliche in seiner zugespitztesten Form: der Wahnsinnige hat keine Ahnung von seinem Zustand. Die Subjektivität wird im Exzess vollig ausgewischt. Das Subjekt fällt mit seiner Raserei zusammen. Ist es möglich, das Körperliche in weniger exstatischen Formen zu denken? Ohne den Versuch einer Systematisierung zu machen und auf die Gefahr hin, eine allzu grobe Vereinfachung vorzunehmen, könnte meiner Meinung nach dieser körperliche, nicht subjektive Widerstand wiedererkannt werden in dem amorphen Unfrieden, der sich in den Körper einschleicht,wenn die körperlichen Wünsche nicht mehr gültig unter den durch die Macht produzierten Identitäten als sinnvoll und bedeutend erfahren werden können. Dies is der Unfriede des Homosexuellen, der Hausfrau oder des Pubertierenden, der sich, als von ausserhalb der Identität, dem Individuum aufdrängt. In dieser sich aufdrängenden Bewegung wird das Ich aufgebrochen und zerstuckelt durch entgegengesetzte Begierden. Die Macht wird versuchen, diese Unlust durch neue Identitäten zu regulieren, damit die Kohärenz der Innerlichkeit widerhergesellt wird. Ein neues subjektzentriertes Wissen wird dazu eingesetzt.

B. Wenn man vor der Macht als Normalisierng ausgeht, lässt sich das zweite Moment des Widerstands denken als die Verweigerung der normalität. Das Körperliche lässt sich in erster Linie auf der Ebene des denkenden Subjekts nur unter der NormAbweichung Opposition denken. Der plebejische Aspekt des Verhaltens ist als solcher sinnlos und chaotisch. Er hat einen dezentrierenden Einfluss, der das Subjekt vom Grund seiner Existenz auch nicht als sinnvoll erfahren kann. Am Beispiel des 13 jährige Gesetzübertreters Béasse ist dieses Moment schon bei Foucault als der Raum der Freiheit umschrieben. Der nomadische Aspekt erscheint explizit in seinem Verhalten. Auch zeigt er sich als das absolute Nein gegen den Sex. Diese spezifischen Verweigerungen sind Teile einer allgemeinen Bewegung,die den heutigen Kampf kennzeichnet: Der Verweigerung unserer Subjektivität. Diese Verweigerung ist aber nur eine Seite der Medaille.

"We have to promote new forms of subjectivity through the refulsal of this kind of individuality, which has been imposed on us for several centuries."

Die Umkehrung, die darauf folgen muss, ist notwendig und zeigt die Überwindung des Nihilismus und die Überschreitung der Normabweichung Opposition. Auf das radikale Neinsagen folgt das kreative, werteschaffende Jasagen zum Anderen. Am Beispiel Béasses können wir den zweiten Schrift schon ausgedeutet finden: Bèasse stellt seinen eigenen begrenzten Diskurs der Illegalität dem Diskurs des Richters gegenüber. Darin wird seine Erfahrung nicht als eine Erfahrung der Abweichung dargestellt,sondern als Posivität bejaht, und zwar so, dass sie nicht mehr auf die Positivität der Norm bezogen wird. Die Wahrheit Béasses ist ein selbst stilisierter Wert, der keinen universellen Anspruch erhebt. Es handelt sich hier um eine schaffende Wahrheit, die sich in der Intensität des Daseins fundiert und affirmiert. In diesem neuen Wissen, das sich im Gegendiskurs artikuliert, wird die NormAbweichung Opposition überschritten. Die Wahrheit der Norm steht de Wahrheit der Abweichung nicht mehr gegenüber. Beide stehen nebeneinander, ohne dass es noch eine oppositionelle Beziehung gibt. Die Differenz bleibt bestehen. Der grosse Gefahr des Widerstands liegt in der Verketzerung des vorherigen Normalen durch den Abweichenden. Dann wird die affirmierte Positivität der Abweichung wider zur Norm erhoben. Die vorherige Norm wird als die abweichende Erfahrung abgelehnt. Der prinzipiell nomadische Aspekt wird vernichtet, die Widerstandsherde aufs Neue totalisiert und neue Identitäten, die unter dem Schein der `Alternative' die Wahreit einfordern, ermöglichen eine erneute Disziplinierung.

C. Das dritte Moment des Widerstands zeigt sich schliesslich im Einsatz des neuen Wissens in Selbstpraktiken. Darin explizitiert sich die Beziehung zwischen Widerstand und Wahrheit. Denn Widerstand impliziert immer eine Wahrheitspolitik, die sich auf die Sabotage der subjektzentrierten Evidenz richten soll, in denen die universelle Wahrheit des Menschen artikuliert wird. Diese letzteren problematisieren ist der erste Schritt der Entwicklung eines neuen Wahrheitsspiels. Der Einsatz neuer Wahrheitsspiele in Selbstpraktiken offnet den Weg zu einer neuen Selbsterfahrung. Es ist wesenlich dass die Wahrheit des Menschen nicht aufs Neue im Ich begründet wird. Die Spaltung zwischen Innerlichkeit und Ausserlichkeit verschwindet in diesen Selbstpraktiken. Es eröffnet sich eine Erfahrung, in die der Andere primär einbezogen ist als einer, der prinzipiell eine Positivität darstellt. Im Verschwinden de Subjektivität als Ursprung der Welt, verschwindet auch die Objektivität dieser Welt und das Unzugängliche des Anderen. Aus systematischer Perspektive kann mann im heutige Widerstand also drei momente unterscheiden: den nichtsubjektiven Widerstand des Körpers, die Verweigerung von Identitäten und die darauf folgende Entwicklung eines neuen positives Wissens und den Einsatz dieses Wissens als eines Wahrheitsspiels in Selbstpraktiken. In diesen Praktiken wird ein Wissen des Anderen artikuliert und werden norminalisierende Identitäten aufs Spiel gesetzt. Die Verschlingung dieser drei Momente macht übrigens einen strengen Unterschied der drei Formen des Widerstands unmöglich. Jeder Widerstand hat teil an den drei Momenten. So kann Foucault die These aufstellen, dass in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Widerstand sich dann auch überall artikuliert und sich in jeder Materialität befestigt. Am Anfang als der nichtsubjektive Widerstand des Körpers mit seinen Lusten. Jeder Widerstand ist aber verknupft mit der Weise,durch die er durch die Macht aufgerufen wird. Dadurch gibt es ebenso wie im Falle de Macht keine Theorie des Widerstands.

4. Die heutigen Gestalten des Widerstands

Wir gehen davon aus, dass Foucault Bemerkungen über "das Schreiben einer Geschichte der Gegenwart" ernst zu nehmen sind. Ist es möglich, um mittels dieser neu entwickelten Begriffe Entwicklungen in der Gesellschaft der letzten 40 Jahre aufs Neue aus der Perspektive einer neuen Selbsterfahrung zu deuten? Kann das Denken der Macht und die daraus folgende Analyse des Widerstands und der Freiheit mögliche Ausgangspunkte ergeben für eine neue Bedeutung abweichender Verhaltensformen? Ich glaube, dass das so ist. Es ist aber klar, dass eine solche Deutung notwendig provisorisch und unsystematisch sein wird. Den vorherigen Analysen gegenüber entbehrt deshalb die folgenden einen systematischen Charakter; in ihren aktuellen Gestalt gehen die Momenten des Widerstands durcheinander, oder sie sind nur teilweise anwesend. In diesem Abschnitt geht es nur darum, aktuelle und konkrete Gestalten aufzufinden, die es möglich machen, die Aussage "der Widerstand ist überall" zu denken. Zuerst sollten die Entwicklungen mittels der Begriffe `souveräne' und `disziplinäre' Macht geprüft werden. Wie ist der traditionelle Widerstand der radikalen Gruppen, der politischen Oppositionsparteien, der Gewerkschaftsbewegungen von der Dichotomie dieser beiden Begriffe aus zu denken? Denn trotz des augenscheinlichen Verschwindes der äusserlichen Zeichen der souveränen Macht funktioniert diese Macht noch immer. Dies ergibt sich namentlich aus der Weise in der sich der traditionelle Widerstand artikuliert und gruppiert. Ihr Stategien sind ja auf ein Machtskonzept bezogen, das sich vollig an der Legalität und den Gesetz orientiert.

"Mir scheint, dass man allzu oft und nach dem Modell, das durch das juridischphilosophische Denken des 16. und 17. Jahrhundert bestimmt ist, das Problem de Macht auf das Problem der Souveranität beschränkt hat:(...)"

Der Widerstand, der sich von diesem Konzept aus auf die Bekämpfung der Macht richtet, ist durch das Interesse am Staat als dem exklusiven Zentrum der Macht gekennzeichnet. Dieser Widerstand wird aber gleichzeitig von disziplinären Machtwirkungen geprägt. In der Distanz zur modernen Zeit, in der wir uns befinden, haben diese disziplinären Machtwirkungen noch immer obgleich allmählich weniger einen Zugriff auf unsere Körper und unser Begehren. Die Art und Weise, in der die Medien als Exponenten dieser Disziplinierung eingesetzt werden, zeigt dies überzeugend. Eine neue Beziehung zwischen Macht und Wissen offenbahrt sich aber in den Praktiken, die u.a. durch die Einflusse der Gegenbewegungen der 60er Jahre auf dem traditionellen Gebiet der Politik in Gang gesetzt worden sind. Das ZumThemaMachen der Abweichung und die Entwicklung von Praktiken, in denen eine positive Erfahrung der vorherigen Abweichung ermöglicht worden ist, zeigt die Grenze der Wirkung der Souveränen und disziplinären Machtwirkungen. Wohlan, dieser Gedanke soll im folgenden genauter ausgearbeitet werden, indem klar gemacht wird, dass es zwischen die Aktivitäten traditioneller politischen Gruppen (Parteien, Gewerkschaften), den Gegenbewegungen der 60er Jahre, den radikalen Splittergruppen wie der RAF, den neuen Lebenspraktiken der Jugendlichen, Frauen und anderer vorher als abweichend gekennzeichneter Menschen systematische Beziehungen gibt. Seit dem zweiten Weltkrieg zeigt sich, dass die sozialen und politischen Programma der Politischen Institutionen nicht durchfürbar sind. Die Programma und die daraus entwickelten Stategien des Widerstands in der Form der Parteipolitischen Opposition und der Gewerkschaften leiden an demselben Ubel. Aber es ergibt sich immer wieder eine Umgruppierung und nachträgliche Programmierung, in die immer wieder dieselben, konkreten Versprechen aufgenommen werden. Die Stategie des Formierens einer Gegenmacht, die Erstellung strenger Planungen und konkreter Programma, die Ausschliessung oder Totalisierung aller dissidenten Formen des Denkens in einer neuen Partei, dies alles sind Ausserungen eines Einheitsdenken, die sich mittels einer Norm im gesellschaftlichen und individuellen Körper festhaken. Abermals, Foucault verneint den Wert dieses Widerstands nicht. Er ist sich aber der Beschränkungen bewusst. Seiner Meinung nach beruhen die Begriffe `Ideologie', `Klassenkampf', `Utopie' und `Entfremdung' nicht auf einer adäquaten Analyse unserer heutigen gesellschaftlichen abenländischen Wirklichkeit. In den Ländern der dritten Welt mag der Kampf gegen Vergewaltigung und Ausbeutung aber noch eine fundamentale Bedeutung haben. Namentlich in der 60er Jahren hat das Geschäft der Politik eine vielfältige Gestalt bekommen. Sie ist ausserhalb der gebahnten Wege getreten. Aber welcher Wirkung gemäss sind die Gegenbewegungen möglich geworden? Man sollte ihre Möglichkeitsbedingungen zunächts in der Wirkung disziplinärer Machtwirkungen suchen, durch die Identitäten Produziert worden sind, die unsere moderne Erfahrung konstituiert haben. Gerade in dem Widerstand gegen die Norm un das Einheitsdenken, in der Opposistion gegen Ausschlliessung des Anderen als abweichenden. Aber was ist diese verblassende, moderne Norm? In seiner idealen und umfassenden Form: der menschliche, vernünftige, erwachsene, gesunde, rechtschaffene, arbeitende, heterosexuelle, verheiratete, monogame, Kinder produzierende Mann. Die Nachtkriegsbewegungen des Widerstands scheinen allen auf denselben Terminus dieser Norm gepfropft zu sein: vom Unweltschutz und der ökologischen Bewegung über die AntiPsychiatrie und Expatientenkollektiven bis zu den vielfältigen Formen der Frauen und Homobewegung. Die Möglichkeitsbedingung dieser Bewegung ist als des zweite Moment des Widerstands anzuerkennen. In jeder Bewegung ist der amorphe unfriede des Körpers, folglich der Ausschliessung der Abweichung, als Widerstandsherd radikalisiert. Allmählich erförderte jede Bewegung die Positivität der "abweichende" Erfahrung und hat versucht ein Denken zu entwickeln, in dem die Abweichung von der Norm abgelöst worden ist.

"Mit diesem Kampf, dessen Ziel sie genau kennen und dessen Methode sie bestimmen können, treten sie in den revolutionären Prozess ein. (...) Die Frauen, die Gefangenen, die Soldaten, die Kranken in den Spitälern, die Homosexuellen kämpfen nun gegen die jeweiligen Formen von Macht, Zwang und Kontrolle, denen sie ausgeliefert sind. Solche Kämpfe gehoren zur revolutionären Bewegung, wenn sie nur radikal und kompromisslos sind."

Die Experimente des Widerstands steigern sich. Der traditionelle politische Widerstand assimiliert allmählich die neuen Formen: Aussenparlementarischer Aktion wird von Parteien und Gewerkschaften immer mehr Beifall gespendet. Die inhaltliche Bestimmung der politischen Programma von den Gegenbewegungen aus wird grösser. Einerseits zeigen die Programma der Gegenbewegungen eine Offenheit, anderseits werden die Aktionen durch Spezifizität, Konkretheit und Kurzfristigkeit gekennzeichnet. Dort wo es keine Assimilierung des Widrstands gibt, radikalisiert sich der Widerstand und verschiebt sich der Charakter des Widerstands gegen dei Norm wieder zum Kampf gegen das Gesetz und den Staat. Die Ideologie und die Struktur des Kampfes von Gruppen wie der RAF und der Roten Brigaden in Italien gründen sich auf das Modell der souveränen Macht. Die Macht des Gesetzes und der Norm scheint zwar auf lange Sicht auf die Gegenbewegungen wieder Griff zu bekommen, aber viel mehr als die legale Ausschliessung ist es die disziplinäre Normalisierung innerhalb der Bewegung selbst, die die zu Stande bringt. Die Macht der Norm reguliert den Widerstand durch neu produzierte Identitäten. Die Vereinnahmung von Gegenbewegungen durch die politischen Parteien hat wichtige Konzequenzen für das Betreiben einer Politik. Vielleicht gibt es gar keine strenge Politik mehr. Und wenn die politik in modernen Sinne erst nach der Französischen Revolution am Anfang der 19. Jahrhundert ermöglicht worden ist, dann kann dies für Foucault nicht anders bedeuten als das Ende der Politik. Eine neue "politische" Analyse wird notwendig.

"Ein solche Analyse darf nicht mehr einer individuellen Schuldzuweisung opfern (...); man darf sie auch nicht durch einer jener Verschiebungen umgehen, die man heute gern praktiziert: all das leitet sich ab von einer Warenökonomie oder von der kapitalistischen Ausbeutung oder ganz einfach von dieser verfaulten Gesellschaft (...). Die politische Analyse und Kritik sind zu einem guten Teil noch zu erfinden aber zu erfinden sich auch die Strategien (...) Wenn "Politisierung" heisst, dass man auf vorgegebene Alternativen und Organisationen all die Kräfteverhältenisse und Machtmechanismen zurückfuhrt, die von der Analyse freigelegt werden, dann ist sie nicht der Mühe wert. Den grossen neuen Machttechniken (...) muss sich eine Politisierung entgegen setzen, die neue Formen haben wird."

Der Ablehnung der Voraussetzungen des traditionell politischen Widerstands durch die Gegenbewegungen kommt vielleicht seinen bedeutungsvollsten Gestalt in Gruppen wie Amnesty International, Greenpeace und der Friedensbewegung. Das letzte Fundament der modernen Denken in Bezug auf Legalität und Souveränität das Territorium, die Nation hat seine Bedeutung als Masstab für die politischen Aktion verloren. Das ganze Neue des Widerstands lässt sich aber mit den Begriffe `Souveränität' und `Disziplin' nicht denken. Die Sackgasse in der die Gegenbewegungen sich heutzutage befinden, scheint diese Behauptung zu bestätigen. Eine vollig unklare Radikalität in der Form von Dogmatismus scheint einen grossen Teil des Widerstands auf das gleiche Niveau mit der Macht zu bringen: die naturalistische und fast biologistische Interpretation des Lebens in der okologischen Bewegung zieht faschistoide und faschistische Elemente an, die gewalttätige Selbstrichtung der Instandzbesetzer macht den Unterschied zwischen ihnen und von de Macht mobilisierten Prügelkommandos unklar, der nahezu obsedierte Kampf der Frauen gegen Pornographie hat sie in den Kreis der reaktionäre geführt. Wenn Foucault aber Radikalität und Kompromisslosigkeit fordert für den heutigen Kampf und wenn dies nicht die Radikalität der RAF oder leeres Prinzip ist, wo ist diese Radikalität dann noch aufzudecken? Ebenfalls sollte es eher eine Verneinung als eine Bestätigung (wie es bei der RAF z.B.der Fall ist) des Einheitsdenken sein: eine prinzipielle Verweigerung, die letzte Wahrheit des Menschen aufs Neue im Menschen zu fundieren. Eine radikale Verweigerung jeder Totalisierung und Reduktion des Anderen zum Selben, der Vielheit zur Einheit, Aber auch die Einsicht in die Illusion einer Planung und einer Strategie. Der prinzipielle Vorläufigkeit der Identität und des Ziels sollte ein Ausgangspunkt des Widerstands bleiben. Im Falle einer Reduktion kompromitiert der Widerstand sich an die Macht. Die Etiketten werden nur umgehängt. Das zweite Moment des widerstands das Neinsagen und das Denken des Anderen verliert seine Kraft, wenn es sich totalisieren und letzlich indentifizieren lässt. Es gibt keine universelle Wahrheit mehr. Das ist die Perspektive in Foucault Bemerkung, dass der Homosexuelle nicht ein Homosexueller SEIN soll, aber fortwährend einer WERDEN soll. Das Wichtigste ist das Prozess des werdens. Die Stilisierung des Begehrens ist einen Prozess ohne Ende. Sobald der Homosexuelle sich als solcher präsentiert und repräsentiert d.h. seine ganze Existenz durch die spezifische Art sienes Begehren denkt , ist er zur Beute der disziplinären Macht und des Modernen Diskurs des Sex geworden. Und was im spezifischen Sinne für die Homobewegung gilt,gilt im gleiche Masse für die anderen Gegenbewegungen. Gibt es neben diesen Widerstandsherden innerhalb der Gegenbewegungen noch andere, die nicht auf diese Radikalität verzichten? Widerstandsformen in denen einer Stilisierung des Verhaltens eine wichtige Rolle zuerteilt wird und in denen das dritte Moment des Widerstands artikuliert wird? Ich glaube, dass eine Analyse der Jugendkulturen einen Blick auf solche Selbstpraktiken erlauben wurde. Von jeher ist das Widerstandspotential unter den Jugendlichen sehr gross. Gerade ihre Existenz steht im Zusammenhang mit den disziplinären Prakiken: Das phänomen `Jugend' im modernen Sinne ist schliesslich eines der Produkte der Disziplinierung dr Familie im 19. Jahrhundert. Der Einsatz der Strategien in der Familie von einer durch die Macht fundierten Biopolitik hat die Jugendkultur als eine Widerstandsform notwendig aufgerufen. Das Kind ist in Bezug auf die Norm und die Abweichung auch eine der Gestalten des Anderen, das nie von sich selbst aus gedacht werden kann, aber immer auf die Norm des vernunftigen Erwachsenen reduziert wird. Als das radikalste Beispiel der Jugendkulturen kann die Punkbewegung gelten, die in der Mitte 70er Jahre in England anfing. Gibt es in anderen Jugendkulturen oft noch die Bedurfnisse einer positiven Gegenidentität (Teddyboys, Skinheads, Hippies oder die Rastakultur der Reggae), die Punkkultur wird durch die systematische Verweigerung jeder festen Identität gekennzeichnet. Als Sammelpunkt aller vorherigen Jugendstile hält der Punk die Vielheit der Zweichen fest, ohne sie wieder in einer neuen Einheit zu totalisieren. Das Chaotische manifestiert sich ebenso in ihrer Musik, ihrer Kleidung, ihrem Tanz, kurz in ihrem ganzen Verhalten. In diesem Sinne ist der Punk der Endpunkt und die Aufhebung aller Bedeutungen. Die Verweigerung ist total, radikal, kompromisslos. Immer wieder ist ihre `Intention' für das `äusserliche' Verhalten, zuruckzufuhren auf den Schrei: "Won`t/Want", kaum zu unterscheiden. In diesem Widerstand ist das erste Moment des Widerstands expliziter vorhanden. Immer wieder wird das Körper mit seinen Lusten und Kräften eingesetzt,indem neu gestaltete Identitäten wieder zerfetzt werden. Das Körperliche ihrer Musik verdanken sie der Reggae, in der wie in aller ursprunglich schwarzen Musik die Körper und ihre erotischen Kräfte, ihre Luste nog eng miteinander verbunden sind. Sind verwenden ihre Körper direkt. Auf ihnen schreiben sie ihre Identitäten ein mittels körperlichen Zeichen: Die Hahnenkammfrisur, die mit Sicherheitsnadeln durchbohrten Wangen, Ohren, Lippen, die Tätowierungen und die feurigen Farben, das Amalgam der Kleider und traditionellen Symbole. Es scheint, als schrieben sie ihre Innerlichkeit auf der Oberfläche ihres Körpern ein. Oder vielleicht ist es ungekehrt: Ihre Innerlichkeit und der offensichtliche Zusammenhang der äusserlichen Zeichen können nicht mehr voneinander getrennt werden. Die `äusserliche' Inkohärenz ist gleichzeitig die `innerliche' Inkohärenz. Eine Analyse dieses Verhaltens in traditionell politischen Begriffen ruft vielerlei Probleme hervor. Das grösste Problem ist die Abwesenheit politischer Integrität. Das Merkmal des traditionellen Widerstands und der Gegenbewegungen, die Erbschaft der 60er Jahre, ist verschwunden. Das heisst: ist nicht mehr in `normalen' Begriffe zu denken. In der Perspektive der Punks verträgt die Betroffenheit mit dem antifaschistische Widerstand z.B. durch musikalische Beiträge zu "Rock against Racism" sich mit dem Schmunk wie dem Hakenkreuz, dem Symbol des Nationalsozialismus, und dem Gebrauch des Hitlergrüsses. Die Deutung dieses Verhaltens aus der Perspektive der politischen Integrität versäumt, einen ganz wichtigen Aspekt zu bemerken: die Vernichtung traditioneller Bedeutungen und die Entwicklung einer neuen Beziehung zwischen `innerlicher Identität' und `aüsserlicher Vorstellung'. Die Einschränkung der Kriterien des totalisierenden Denkens ist aber auch sichtbar in der Geschlechtsvermischung. Schon seit längerer Zeit wird eine bestimmte Vermischung toleriert. Von den Punks wird die Travestie aber weitergeführt. Gab es in den Jugendkulturen der 60er und frühen 70er Jahre noch eine sehr strenge Geschlechtsteilung im Verhalten und in der Ideologie, die Punks verneinen diese Teilung vollig. Foucault "Nein zum König Sex" zeigt sich vielleicht ebensogut in dieser Verneinung der Punks als in der neuen Praktik des Zölibat, die durch bestimmte Teile und Strömungen in der Homo und Frauenbewegung propagiert wird. Die Musikkultur kennt diese Geschlechtsvermischung und die damit verknüpfte Ästhetisierung des Verhaltens schon. Der Sänger Schauspieler David Bowie is das Muster dieses Identitätswechsels und dieser Geschlechtsvermischung. Das Nein zum Sex artikuliert sich bei ihm positiv als ein Wechsel immer neuer Identitäten, die nicht im hetero oder homosexuellen Begehren zu fundieren ist. Bowie stilisiert und spielt. Er entwirft neue Wahrheiten, spielt Wahrheitsspiele. Der Punk radikalisiert bis zum Ende. Die Extrapolation von Punkverhalten auf eine konsistente Subjektivität ist nahezu unmüglich geworden. Die Opposition `Interiorität Exteriorität' ist zerbrochen. Dennoch drängt sich die Frage auf, wie diese radikale Dezentrierung auf andere Weise als in der Form eines Grenzbegriffs einer zum grössten Teil noch durch disziplinären Machtwirkungen bestimmten Gesellschaft zu denken ist? Wenn der Punk die Gestalt des aktiven Nihilismus ist, ist es dann möglich seine Überwindung zu denken?

5. Lebensstil

Foucault Analyse der antiken asketischen Selbstpraktiken eröffnet meiner Meinung nach eine Perspektive, von der aus eine positive Stuktur dieser Widerstandsmomente zu denken ist Nach der Erscheinung seiner letzten Arbeiten wiederholten seine Kritiker ihre Kritik, sei es in milderer Form. Foucault Denken zeige seinen urprunglichen bürgerlichen Gehalt in die Analyse griechischer und romischer Akese der Herrscher. Denn in der Besprechung der Selbstdisziplinierung dieser antiken Herrscher erkannte man die Konstituierung des bürgerlichen Subjekts im 19. Jahrhundert. Aber in dieser Kritik wird wieder derselbe Fehler gemacht: Man liest Foucault immer von einem moralistischen Gesichtpunkt aus, als schreibe er eine konkrete Ethik. Zweiten ist es ganz falch, die letzten Arbeiten als eine Apotheose und eine Abrundung der vorherigen Werke zu sehen. Foucault hat eher aufs Neue eine Lokale Analyse vollzogen. Er hat erwas zum Thema gemacht, das nicht eher thematisiert werden könnte: eine neue Beziehung zwischen Wissen und Macht. Retrospektiv ist es möglich, auch im 19. Jahrhundert Praktiken zu tracieren, in denen es diese Beziehung gab. Mann denke an das Dandytum. Ist es dennoch verantwortet ohne eine moralisierende Lesung zu verwenden , den Begriff `Lebensstil' als eine Perspektive zu nutzen, um heutige Entwicklungen zu deuten? Trotz der Warnung Foucaults erlaube ich mir, dies aufgrund der Versuche zu tun, die Foucault selbst ausgeführt hat. Er benützt ihn namentlich,um eine neue Lebensform in Bezug auf die Kultur der Homosexuellen zu skizzieren. Dieser Lebensstil ermöglicht es, eine Kultur und eine Ethik zu schaffen, in denen zwangsmässigen Trennungen zwischen sozialen Klassen, Berufen und kulturellen Unterschieden durchbrochen werden können. Dies heisst aber nicht, dass es am Ende einen Schmelztiegel gibt, aus den jedermann als ein und dasselbe Wesen mit gleichartigen Begehren zum Vorschein kommt. Im Gegenteil: die Differenz sollte affirmiert werden. Es sollte eben verschiedene Lebensstile und nicht Den Lebensstil geben. In L'usage des plaisirs kennzeichnet Foucault die Freiheitspraktiken als asketische Praktiken. Askese sollte aber nicht in seiner konventionellen Bedeutung des Verzichts und der sexuellen Abstinenz verstanden werden. Es ist eher die Art und Weise, in der das Individuum versucht,sein Ich fortwährend aufs Spiel zu stellen, es zu ändern und zu überwinden. Die Anderen sind an diesem Prozess der Änderung unmittelbar beteiligt. Askese ist gleichzeitig Mässigung und Verwaltung. Die Anderen sind keine Funktion des Ich mehr, aber das Ich ist vielmehr eine Funktion eines Prozess des Werdens, der sich auf grund gemeinschaftllicher Lusterfahrung artikuliert. Foucault konzipiert Lust (d.h. plaisir) als antisignifikant des Verlangens (d.h. dèsir), der schon artikulierten Lust.

"Sie (die Lust, ho) meint schliesslich nur einen Vorfall, ich wurde beinahe sagen,einen Vorfall,der sich unter Umgehung des `Ich' abspielt oder auf jeden Fall an den Grenzen des Ich, ein Vorfall in jenem Gebiet, das werder dem Körper noch der Seele zugehört, das die Trennung zwischen `innen' und `aussen' durchbricht".

Lust ist eher ein Geschehen, das das Ich zerfetzt. Ein Geschehen, in dem die Subjektivität als eine Illusion ausgeloscht wird. Die Grenze liegt in der Extase. Der Rausch der Wahnsinnigen ist die Grenze dieser Erfahrung. Und hier zeigt sich am klarsten, dass es sich nicht um ein bürgerliches Denken handelt. Denn dieser Gedanke einer anderen Erfahrung birgt etwas Gewalttätiges in sich, das nie ausgeschlossen werden kann. Der Einsatz des Körpers und seiner Luste, das Werden als primat, der Identitätsverlust als positives Element dieser neuen Erfahrung könnte nie in subjektzentrierenden Kategorien gedacht werden. Aber absolute Freiheit der wutenden und tobenden Wahnsinnigen ist unmöglich. Jede Gesellschaft fordet Regeln. Es braucht eine Ethik. Wenn es aber möglich ist, im Denken Foucaults eine Ethik zu finden, könnte es niemals ein allgemeines Regelsystem sein. Ethik ist zunächst die Reflexion der dynamischen Verhältnisse des Individuums zu sich selbst in der Askese. Nur unter den konkreten Bedingungen einer Selbstpraktiken ist diese Ethik substanziell zu denken. Kodifizierung und Universalisierung erfundener Werte und Normen ist fundamental unmöglich. Foucault zeigt sich in der Analyse des Lebensstil mehr als je zuvor als der Philosoph des Widerstands. Nur der Einsatz einer beschränkten Optik des Widerstands erklärt die Beschuldigungen des Neokonservatismus und der Bürgerlichkeit. Es ist dieselbe totalisierende Optik, die viele veranlasst hat, ihn als Exponenten eines anarchistischen Denkens zu sehen. Beide Lesungen scheinen mir ein mangelhaftes Verständnis der Eigenheit von Foucaults Denken zu sein. Der Lebensstill ist nicht der letzte Streit um die Wahrheit. Es is das Spiel mit und in einer Wahrheit, mithin zwischen Werten. Diese artilulieren sich erst der Erfahrung des Selbst in einer Freiheitspraktik. Aber gleichzeitig werden sie aufs Neue in dieser Erfahrung verschränkt. Wenn es noch eine Moral gibt, dann nur eine Ethik jenseits der Ökonomie des Wahren und Falschen, eine Ethik jenseits des Normalen und Abweichenden. Also auch eine jenseits von Gut und Böse.