PHILOSOPHIE ALS SCHEINMANÖVER

Metapher, Metamorphose und Ironie

in den späteren Arbeiten Baudrillards

Das Schallen der Sturmglocken, das besonders in den seit 1976 publizierten Büchern Baudrillards aufklingt, hat für viele Leser einen unheimlichen Klang. Trotz der Tatsache, daß dieses Glockengeläut den Philosophen inzwischen bekannt vorkommt Denker wie Nietzsche, Heidegger und eine große Anzahl französicher Philosophen haben vor ihm schon dauernd Lärm geschlagen erregen der scheinbar satanische Spaß, womit Baudrillard extreme Ereignisse mit einander verknüpft und die lähmende Aussichtlosigkeit, die dadurch erweckt wird auch bei Ihnen Widerwillen. Trotz seiner meistens absurdistischen Stellungnahmen kann man sich nur mit Mühe dem Eindruck entziehen, daß beängstigende Aspekte unseres (post)modernen Lebens ans Licht gebracht werden. Die Kritik lenkt sich vor allem auf den aporetischen Karakter der Arbeiten Baudrillards, und auf das Fehlen einer neuen kritischen, sozialtheoretischen Perspektive. Sein Gesamtwerk würde die absolute OGrad kritischer Theoriebildung sein. Indem er kritischer als kritisch, daß heißt "hypokritisch" ist, untergräbt er seine eigene Thesen. Jenseits jeder politischen Ansicht, stellt er sich "transpolitisch" hinterlistig und entgegengesetzt auf. So fragt er sich am Ende des Buches Les stratégies fatales (1983), ob die fatale Strategien nun wirklich existieren? Und wenn er folgert daß es "vielleicht nur eine fatale Strategie gibt: die Theorie"(SF 201) und anschließend behauptet, daß "die Hypothese einer fatalen Strategie selbst ebenso fatal sein sollte"(SF 210) erregt er unvermeidlich die Frage, ob es nach diesem Buch noch ein philosophisches Leben geben könnte. Es sieht so aus, als reproduzierte Baudrillard als radikaler Nihilist in den retorischen Bewegungen seiner Texten nur die selbstverständliche Nichtssagendheit unserer abendländischen Kultur. Damit wir ein wenig Einsicht in die Terror seiner 'fatalen' Theorie enthalten, lese ich Baudrillards spätere Arbeiten im Hintergrund einer philosophischen Debatte in Bezug auf der Wert der Metapher und ihrer Funktion innerhalb des postmetaphysischen Denkens. Seine Bemerkung, daß "die Verführung die Seienden dem Reich der Metapher entzieht, damit sie dem Reich der Metamorphosen ausgeliefert werden"(SF 159), kann meiner Meinung nach nur von einer zweispurigen Problematik aus verstanden werden. Die erste Spur fängt mit Nietzsche an und führt über Heidegger zu Derrida. Sie betrifft besonders die De(kon)struktion der Metaphysik. Die zweite Spur fängt mit der Zeichentheorie De Saussures an und bekommt ihre Entfaltung in der Lacanischen Transformation der psychoanalytischen Diskurs. Darin spielen Metapher und Metonymie eine führende Rolle. Indem ich Baudrillards These, als hätte die Metaphysik ein Ende genommen und hätte die Metapher keine Beredsamkeit mehr, mit diesen Spuren verbinde, möchte ich nachweisen, daß seine Diskurs die Tätigkeit der Metapher eher voraussetzt als verneint. Zunächst pflichte ich so weit wie möglich seiner Ansicht bei, dann schlage ich eine mögliche Auslegung seines Metamorphose-Konzeptes vor, um schließlich seine These an beide Spuren anzuschließen. Dies mündet in eine Kritik an den von ihm beabsichtigten Übergang von Metapher nach Metamorphose aus. Diese Kritik richtet sich hauptsächlich auf die Verwendung einer retorischen Figur: die Ironie. Diese sprachliche Strategie wird von Baudrillard nicht Subjekten, sondern sogenannten reinen Objekten zugeschrieben. Diese fremdartige Antropomorphisierung erweckt beim Leser vielleicht einen ersten Eindruck der doppeltdeutigen Zeichenproduktion der er ausgeliefert wird.

1. Hyperrealität: das Ende der Realität

Wie sieht nach Baudrillard die Welt aus? Jedenfalls flüchtig. Jedem tiefen Sinn entblößt erweckt sie den Eindruck eines kollageartigen Videoclips, in dem die Bilder unerwartete Verknüpfungen übernehmen, die Individuen zum bestimmten Verhalten anregen:

"Die Dinge haben Wege gefunden der Dialektik der Bedeutung von der sie überhatten, zu entfliehen: die unendliche Proliferation, die Potenzierung, das Hochtreiben ihrer Wesen, in eine steigernde Extremität, in eine Obzönität, die von nun an als ihre immanente Finalität und ihre unsinnige Vernunft tätig ist."(SF 7)

In unserer multimedialen Konsumgesellschaft führen Bilder und Objekte ein eigenes Leben. Auch in den Wissenschaften, durch eine unermeßlichen Anhäufung der sich gewöhnlich widersprechenden Theorien gekennzeichnet, hat jede Wahrheit sich verflüchtigt. Für Baudrillard zeugt die heutige theoretische Hyperaktivität denn auch eher von intellektueller Verzweiflung, als von einer ständigen Akkumulation von Wahrheiten. Theorien produzieren höchstens Trugbilder oder simulacra, die nur suggerieren, daß es eine Hinterwelt gibt. Die Notwendigkeit der Wahrheitsakkumulation wurde vom Projekt der Aufklärung eingegeben, das mittels einer rigiden Entmythologisierung die Emanzipation des modernen Subjeks der Bürger, der Arbeiter und seit kurzem fast aller marginalisierten Gruppen beabsichtigte. Im Gegensatz zur Auffassung, daß das Subjekt, weil es das Wahre und das Gute verwirklicht, seine Welt entmythologisiert und objektiviert, damit es das Schicksal in seine Geschichte verwandelt, behauptet Baudrillard, daß die dialektisch gelenkten Bedeutungsstrategien des Subjekts nicht länger maßgebend sind für unser kollektives Verhalten. Der Mythos des autonomen Subjekts ist von der Ironie des Schicksals überholt. Trotzdem erkennt er an, daß "nichts dagegen einzuwenden ist, Bedeutung zu erlangen"(SF 46). Aber dieses Verlangen wird eher von Spektakelgier als von Selbstdarstellung eingegeben. Keines Übels bewußt, sind wir von den Dingen verführt worden; wir sind ihren fatalen Strategien zum Opfer gefallen und ihrer tödlichen Ironie ausgesetzt:

"Es ist nicht undenkbar, daß dieselbe Effekte in der entgegengesetzten Ordnung der Verführung in Erscheinung treten können. (...) Das Universum ist nicht dialektisch es ist den Extremen, nicht dem Gleichgewicht gewidmet. Dem radikalen Antagonismus, nicht der Aussöhnung oder der Aufhebung. Auch dies ist das Prinzip des Bösen, und es äußert sich in dem boshaften Genie des Objekts, in der ekstatischen Form des reinen Objekts, in seiner Strategie, die über die Strategie des Subjekts triumphiert."(SF 7)

Extremisierung der Waren von einem wünschenden, der Wahrheiten von einem erkennenden, von Werte von einem ethischen Subjekt. Nur innerhalb eines hemmungslosen Konsum der Produkte, Theorien und Lebensstile könnte das Subjekt noch erscheinen. Uns wird ein Bild einer am Wildwuchs ausgelieferten Welt vorgegaukelt: ein Netz sich chaotisch verästelnder Ereignisse ohne Ursprung oder Zweck. Zwecklos weil sie wie Mitteln für jedes denkbare Ziel eingesetzt werden können. Was sich ankündigt, und was den Leser wahrscheinlich so beunruhigt, ist diese "unerträgliche Schwerlosigkeit der Existenz". Nach Baudrillard hat der Wünsch der Aufklärer alles wahrnehmbar und erkennbar zu machen eine völlig transparante, d.h. obszöne Welt hervorgebracht, in der jedes Kriterium, anhand dessen man das Wirkliche vom bloßen Schein unterscheiden könnte, verschwunden ist. Baudrillards These über das Verschwinden einer Wirklichkeit in den Simulacra, stützt sich allerdings in hohem Maße auf einige geschichtsphilosophische Prämisse. In L'échange symbolique et la mort (1976) schlägt er im Hinblick auf unseren Umgang mit den Dingen die folgende Periodisierung vor: zunächst ein Zeitabschnitt der Imitation bis zur französischen Revolution, dann eine Periode serieller Produktion im industriellen Zeitalter, in dem das Ursprüngliche sich allmählich auflöst und zum Schluß eine Periode der Simulation in der postindustriellen Phase, in der das Wirkliche durch und in eine immanente Logik der Warenzirkulation verschwindet:

"sobald das Kapital zum eigenen Mythos geworden ist (...), zu einer Art gesellschaftlichen genetischen Code, erlaubt es keine Möglichkeit eines bestimmten Umsturzes mehr"(STT 31).

Nach der Meinung Baudrillards sind Revolution und Utopie überholte Begriffe. Unbemerkt sind wir in einer Hyperrealität angelangt, in der "selbst die geschichtliche Illusion, die die Hoffnung auf die letztliche Konvergenz des Realen und des Rationellen, und folglich eine metaphysische Spannung ernährt, zunichte geworden ist: das Reale ist das Rationelle diese Vereinigung ist verwirklicht im Zeichen des Hyperrealen, die ekstatische Form des Realen"(SF 79). Unter Hinweis auf das von Hegel erwartete Endstadium der Geschichte, deutet Baudrillard an, daß wir dieses Ende schon zurückgelassen haben.

3. Transpolitik: der Exzeß und das Ende der Politik

Die völlige Politisierung des abendländischen Daseins hat zu einer transpolitiken Situation geführt. In La Transparence du Mal. Essais sur les phénomènes extrèmes (1990) heißt es, daß

"diese paradoxale Existenz der Dinge, daß zu gleicher Zeit die vollständige Vollziehung einer Idee, die Perfektionierung der modernen Entwicklung, ùnd deren Verneinung, deren Liquidierung durch ihren eigenen Exzeß, durch ihre Ausbreitung über die eigenen Grenzen hinaus ist, könnte in eine und dieselbe Figur gefasst werden: Transpolitik."(TM 17/8)

Der Exzeß einer weltweiten Politisierung offenbart sich wie und in Form des Terrorismus und der Geiselnahme. Ein Medienspektakel, in dem von einem wirklichen Tausch keine Rede sein könnte. Die Politik hat seinen Griff verloren. Der Terrorist fordert die Macht heraus, seine Existenz zu beweisen. In ähnlicher Weise verführen die schweigenden Mehrheiten die Macht. Sowohl der Geisel als auch die Massen fungieren als unerfaßbare, das heißt reine oder fatale Objekten. Die Macht versucht zum Beispiel die Massen in den Griff zu bekommen, indem sie sie mit allerhand Zeichen belegt. Die Medien objektivieren die Massen in der Form eines Zuschauerpublikums, die Macht wandelt zie um zur Wählerschaft. Aber diese hoffnungslosen Versuche erklären, daß die Macht ihre Existenz nur behaupten kann, indem sie, sich an der Verführung dieser fatalen Objekten hingebend, ein finales Objekt, das heißt eine manipulierbare Vielheit, simulieren. Unser transpolitisches Dasein impliziert, daß wir das Ende der Zeiten "schon hinter uns haben. Alles was Metapher wäre, ist schon materialisiert, in der Realität eingebettet"(SF 76). Totale Politisierung schlägt um in Gleichgültigkeit, und völlige Sozialisierung im Sozialstaat bedeutet zwangsläufig den Exzeß und das Ende des Sozialen. In diesem "begehrenswerten Zustand der Transparanz, dem Zustand der Versöhnung des Subjekts mit der Welt"(SF 76) ist die Utopie materialisiert. Der 'eindimensionale Mensch' hat durch einer unbedingten Hingabe an die Trugbilder unbeabsichtigt seine Entfremdung hinter sich gelassen. In dieser Weise verabschiedet Baudrillard sich vom (neo)marxistischen Erbe, von Entfremdung und Emanzipation, von Repression und Befreiung. Die kritische Theorie hat ausgedient. 'Theoretischer' Umgang mit einer hyperrealen Wirklichkeit ist nur möglich, wenn "die ewig kritische Theorie endlich von einer ironischen Theorie ersetzt worden ist"(SF 101). Unser Verhalten wird, so fährt Baudrillard fort, nicht gelenkt von unseren Bedürfnissen und unseren Wünschen, sondern von der Verführung der Objekten. Unser Wunsch ist eher der Effekt des Konsums der Waren, Werte und Wahrheiten. Diese Verführungsthese ist in seiner soziologischen Gestalt schon von Anderen ausgearbeitet, sondern bei Baudrillard bekommt sie eine nahezu metaphysische Tendenz. Nietzsches Nihilismus und seine Frage nach dem Wert der Werte ist radikalisiert worden und mündet aus in

"das was neu, originell, unerwartet, genial ist, nämlich die formelle Gleichgültigkeit gegen den Nutzen und den Wert, die Priorität der rückhaltslosen Zirkulation"(SF 133).

Die ironische Theorie widmet sich darum nicht dem Gebrauchs oder Tauschwert, sondern dem Zeichenwert der Objekte oder den Zeichenobjekten, zu denen sie auch sichselbst zählt. Dies ergibt eine unverwertbare Theorie: Theorie und Praxis sind unaustauschbar. Individuen bekommen nur in und durch Konsum der Zeichenwerte eine Position in der gesellschaftlichen Hierarchie. Konsum ergibt Ansehen, er sozialisiert und individualisiert. Er konstituiert Individuen als wünschende Subjekte, so wie der Konsum der Werte und Wahrheiten sie beziehungsweise zu erkennenden und moralischen Subjekte umwandelt.

3. Simulacra: das Ende der Bedeutung

Die exklusieve Betonung des Zeichenwertes indiziert Baudrillards radikale, semiotische Perspektive. Wenn er die Welt nur noch wie ein Netz der Erscheinungen faßt, und Erscheinungen anschließend als "Zeichen, die keinen Sinn durchlassen"(SF 66) begrifflich bestimmt, bricht er mit den Annahmen der Saussurianischen Zeichentheorie. Dieser versteht das Zeichen jedenfalls wie eine in sich geteilte Entität, die durch eine Äquivalenz von einer äußerlichen, akustischen und in einem abgeleiteten Sinne einer visuellen Form (dem Signifikanten) und einem inhaltlichen Konzept (dem Signifikat), Träger der Bedeutungen sein könnte. Bedeutung wird artikuliert von minimalen gegenseitigen Differenzen zwischen Signifikanten und Signifikaten. Lacan radikalisiert dieses Differenzprinzip. Mittels seiner Anwendung dieser semiologischen Kategorien auf die Freudsche Gedankenwelt, behauptet er, daß jede positive Bedeutung (in letzter Instanz: das Unbewusste) in der immanenten Dynamik von den und Interferenz zwischen den Signifikanten das heißt Baudrillards 'totaler Kreislauf der Zeichen' verschwindet. Meinte Freud noch, daß das Unbewusste sich uns mittels der Mechanismen der Verdichtung und der Verschiebung uns vorstellt, Lacan poniert, daß die Verhältnisse zwischen Signifikanten (Träume, Tics, Symptome und Fehlleistungen) und des Signifikats oder die Bedeutung (das Unbewusste) völlig auflösen. Weil wir nur mit Worten Zugang zum Unbewussten bekommen, bleibt dieses als Signifikat unbegreiflich und ungreifbar. Es ist nur ein Bedeutungseffekt in der Sprache. Der Wunsch verrinnt in den Wörtern. Nur zeitlich kann eine imaginäre Fixation einer Verbindung zwischen einem Signifikanten und einem Signifikat stattfinden. In diesem Moment meint das Ich seine innerliche Wahrheit zu fassen. Gerade von dieser Fixation wird jedoch die dynamische Wirkung des ungreifbaren Unbewussten ganz verneint, was auf die Dauer in einer Neurose resultieren könnte. Damit diese aufgelöst wird, sollte in der Analyse die Verschiebung wieder in Gang gesetzt werden. Oder in den Worten Lacans: indem der Patient anerkennt, daß das Unbewusste sich wie das Andere im Ich durchsetzt. Dieses Andere bekundigt sich immer in der Sprache, die Lacan zusammen mit dem Komplex der kulturellen Errungenschaften die symbolische Ordnung nennt. Sobald ein bestimmtes Selbstbild definitiv fixiert wird, is die Dimension des Anderen allerdings völlig verschwunden. Kurz, eine imaginäre Fixation führt zu einem neurotischen Umgang mit der äußeren und innerlichen Welt. Fixation einer imaginären Einheit und Verschiebung in der symbolischen Ordnung stimmen mit zwei von Freud 'entdeckte' Wirkungen der Traumarbeit überein: beziehungsweize die Verdichtung und die Verschiebung. Seinen Ansichten über die sprachliche Struktur des Unbewussten gemäß, meint Lacan diese Wirkungen in zwei rhetorischen Figuren zu erkennen: die Metapher und die Metonymie. Die Wirksamkeit der psychoanalytischen Arbeit äußert sich dann in der sich in und durch die Sprache erreichenden Auflösung der metaphorischen Fixation eines imaginären Selbstbild und einer neu eingesetzten metonymischen Verschiebung. Also, Baudrillards Kritik auf Lacan betrifft diese metaphorische Fixation oder Verdichtung. Darin wird ja noch eine Beziehung zu einer angeblichen Wirklichkeit dem Wunsch vorausgesetzt. Baudrillards Weltanschauung als sei sie eine Flut der Erscheinungen, die wir nicht im Griff bekommen, impliziert offensichtlich eine Verabsolutierung der metonymischen Verschiebung. Bedeutungseffekte werden bei Baudrillard zu Simulacra. Implizit kritisiert er damit die lacanische Einsicht in Bezug auf den Wunsch, der jedenfalls noch eine Ichgelenkte Aktivität andeutet. Dieser Wunsch ist nun ganz von der souveränen Wirksamkeit der verführerischen Zeichen oder Zeichenobjekte bestimmt.

4. Pataphysik: Ende der Metaphysik, Ende der Metapher

In Les stratégies fatales ist nicht nur mit dem Wunsch, sondern auch mit der ursprünglichen Bedeutung abgerechnet geworden. Damit schließt Baudrillard sich an eine lange Reihe Philosophen an, die mit Nietzsche anfängt. In der Destruktion der Metaphysik bei Nietzsche spielt die rhetorische Wirksamkeit der Sprache eine hervorragende Rolle. Wahrheit bis dann hauptsächlich wie Übereinstimmung vom Denken und Dinge aufgefaßt ist nichts als

"ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz, eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt werden...".

Kurz, ein illusoires Bedeutungseffekt. Aber Kritiker von Nietzsche weisen daraufhin, daß er mit der Verabsolutierung der Metapher, jedes Kriterium für das Unterschied zwischen Wirklichkeit und Schein aufgegeben hat. Damit dieses Problem des 'letzten Metaphysikers' vermieden werden kann, ändert Heidegger den Status der Metapher, um sich mittels einer anderen Sprache aus der Metaphysik heraus zu lösen. Diese Destruktion vollzieht sich durch die Aktualisierung der anfänglichen Bedeutung des Wahrheitsbegriffes: aletheia oder Unentborgenheit. Wahrheit wird als doppeldeutiges Ereignis aufgefaßt, in dem das Seiende erscheint, sondern in dem zu gleicher Zeit Verborgenheit herrscht:

"Im entbergenden und zugleich verbergenden Seinlassen des Seienden im ganzen geschieht es, daß die Verbergung als das erstlich Verborgene erscheint."

Derrida prolongiert Heideggers Projekt. Er meint, daß wir uns nicht befreien können aus der metaphysischen Diskurs. Nur eine an hand von Texten durchgeführte, dekonstruktive Arbeit bietet Möglichkeiten das Andere in den Randgänge der Diskurs verstummen und in der Schriftur als anwesend zuzulassen. Seiner Meinung nach setzt Heideggers Seinsfrage noch immer eine Anwesenheit und Eigentlichkeit voraus, wenn diese auch nicht im Subjekt, sondern im Sein als 'Ereignis' gefunden werden. Dieses Problem vermeidet Derrida, indem er die Spannung zwischen Sein und Schein in die Wirksamkeit der différance situiert, die, Eigentlichkeit und Anwesenheit nicht voraussetzend, sondern konstituierend, wie eine Spur auffaßt:

"Da die Spur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesen, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur. (...) Paradox an einer solchen Struktur ist, in der Sprache der metaphysik, jene Umkehrung des metaphysischen Begriffs, die den folgenden Effekt produziert: das Anwesende wird zum Zeichen des Zeichens, zur Spur der Spur."

Aber trotz der Unterschiede zwischen Heidegger und Derrida, stimmen beide mit Lacan in dieser Hinsicht überein, daß sie mit dem immer zurückziehenden 'Ursprung' eine postmetaphysische Spannung aufrechterhalten, die eine Signifikation ermöglicht. Baudrillard erweckt den Anschein, daß er diese Spannung auflöst: die "Konvergenz zwischen dem Realen und dem Rationellen" ist erreicht in "dem Zeichen des Hyperrealen". Theoriebildung verliert durch diese Konvergenz seine kritische Potenz. Kritik wird höchstens eine Simulationstaktik, ein Spiel mit imaginären Bildern, das haargenau tautologisch ist. So ändert Metaphysik sich in Pataphysik: "die tautologische und groteske Perfektion der Wahrheitsprozeße"(SF 79). Oder wie Baudrillard es früher in A l'ombre des majorités silencieuses, ou la fin du social (1978) ausdrückte, eine Wissenschaft

"imaginärer Lösungen, eine Wissenschaft der Simulation und der Hypersimulation einer exakten, wahren und objektiven Welt mit universellen Gesetzen, inklusiv das Geschwätz von denen die ihr diesen Gesetzen gemäß interpretieren" (OMS 38)

Baudrillards fatale Theorie wäre, gerade weil sie sich ihrer simulierenden Aktivität bewußt ist, nicht pataphysisch. Wir haben schon bei Nietzsche gefolgert, daß die Metapher in dieser 'postmetaphysischen' Debatte ihre übertragende Bedeutung verliert: sie kann dann nicht mehr zum ursprünglichen Konzept (De Saussures Signifikat) reduziert werden. Auch Heidegger meint, daß "mit der Einsicht in das Beschränkte der Metaphysik wird auch die maßgebende Vorstellung von der 'Metapher' hinfällig" und weil es "das Metaphorische nur innerhalb der Metaphysik (gibt)" deutet das Ende dieser auch die Transformation jener an. Die Metapher deutet nicht mehr unmittelbar auf das 'ursprüngliche' Konzept hin, sondern bietet doch die Möglichkeit, die unergründliche Tiefe des Seins momentan zu eröffnen. Derrida meint wiederum, daß jede Frage nach der 'eigentlichen' Bedeutung der Metapher unvermeidlich neue Metaphern produziert. Diese Regressus artikuliert sich in der postmetaphysischen Spannung der Différance. Derrida beabsichtigt die Dekonstruktion versteinerten Metaphern (Substanz, Begriff, Konzept) mittels 'supplementärer', lebendiger Metaphern. Konstruktion und Dekonstruktion erweisen sich als zwei systematische Momente ein und derselben philosophischen kritischen Aktivität. Baudrillard ist jedoch weniger reserviert in seinem Urteil über die Metapher. Unter der Voraussetzung seiner Eindimensionalisierung der Wirklichkeit und der Gleichgültigkeit oder Indifferenz der reinen Objekte, gibt es keine Möglichkeit mehr gerade durch das Fehlen einer endgültigen Orientierung oder sogar einer zurückziehenden Bewegung einer 'Ursprünglichkeit' die Metapher vom ursprünglichen Konzept zu unterscheiden. Metaphern werden zu Simulacra, die bestenfalls eine Hinterwelt simulieren. Für Baudrillard ist mit dem Ende der Metaphysik die Metapher entkräftet.

5. Vom moralischen Wunsch zur unmoralischen Verführung

In Les stratégies fatales stellt sich heraus, daß die Kritik an die Metaphern direkt das Statut des Wunsches trifft. Nicht nur Lacan, sondern auch Denker der Differenz wie Foucault, Irigaray und Deleuze werden angegriffen. Diese Denker 'demaskieren' freilich die freudschen mythischen Metaphern und kritisieren die aus diese hervorgehenden ontologischen und sozialpolitischen Implikationen, aber diese Dezentrierung des fallozentrischen, subjektorientierten Wunsches, führt nach Baudrillards Meinung implizit zu einer neuen Ontologisierung: beziehungsweise 'dem Körper mit seinen Lüsten', dem 'Weiblichen' oder dem 'schizo'Wunsch. Ich laße dahingestellt sein, ob diese Kritik einen guten Grund hat. Auf jeden Fall versucht Baudrillard seine Leser zu überzeugen, daß die Denker der Differenz sich von ihren eigenen 'Demaskierungen' täuschen lassen haben. Seiner Meinung nach glauben sie noch an eine 'Wirklichkeit' und sind sie sich noch nicht ausreichend den ontologischen Implikationen ihrer eigenen Theorien bewußt, und besonders, daß diese wieder neue Simulacra produzieren. Sie hätten übersehen, daß die Metaphern Freuds in eine andere eingebettet sind: die Metapher des Wunsches, aufgefaßt als Motor des menschlichen Verhaltens. Wie gesagt, ist es jedoch nicht dieser moralische, aus Differenzen hervorgehende Wunsch des Subjekts, sondern die unmoralische Indifferenz der reinen oder fatalen Objekte wie der unfaßbare 'Körper' durch die unser Verhalten bestimmt worden ist. Dies impliziert, daß Baudrillard sogar die sexuelle Differenz eine Bitte ablehnen sollte. Es ist

"eine Mystifikation die sexuelle Differenz für den ursprüngliche Unterschied zu halten, aus dem alle andere hervorgehen oder, wovon sie nur Metaphern sind"(SF 116).

In De la séduction beschreibt er wie die 'Wahrheit' des Wunsches in und durch Porno simuliert wird. Diese Ekstatisierung der Sex in eine hyperreale Wirklichkeit, eingeflüstert von der Faszination des Spektakels, gaukelt uns vor, daß es

"irgendwo eine gute Sex gebe, denn (Porno ist) davon eine Karikatur. In seiner grotesken Obszönität ist es ein Versuch die Wahrheit der Sex zu retten"(S 57).

Diese Simulation verführt uns dazu zu glauben, daß es eine normale Sexualität gibt, die den idealen Gebrauchswert des Körpers andeute. Dieser letzte Wert könnte als ultime Bedeutung unseres Wunsches 'befreit' worden. Aber die vollständige Sexualisierung unserer Gesellschaft hier zielt Baudrillard besonders auf den Einfluß der lacanisch orientierten, psychoanalytischen Diskurs nach der angeblichen sexuellen Revolution, hat dazu geführt, daß diese Diskurs jeden Sinnes entblößt ist. Wir leben in einem sinnlosen, transsexuellen Zeitalter. Insoweit der abendländische Wunsch charakteristisch fallozentrisch ist, könnte der Mann "als Subjekt nur das Spiel der Metaphern spielen", aber "wirft die Frau jede Metapher von sich und wird folglich ein fatales Objekt, das das Subjekt ins Verderben wirft"(SF 137). Die Redensart 'femme fatale' bekommt eine äußerst Prägnante Bedeutung. Umfaßt der Wunsch noch die wahre Liebe, damit er ihre letzte Wahrheit entdecken und ihr Geheimnis entschleiern kann, die Verführung lebt gerade von dem Verschwinden der Wahrheit in ein Geheimnis, das nie demaskiert werden kann: "Verschwinden, das ist sich zerstreuen in der Erscheinungen"(ALM 42) und das Geheimnis ist "die Regeln des Spiels der Erscheinungen"(SF 71), unter denen Baudrillard Zeichen versteht, die keinen Sinn mehr durchlassen. Diese Erscheinungen gehen unmittelbar und unvermittelt in einander über. Sie metamorphosieren: "Die Herrschaft der Metamorphose ist letztlich die der Verführung"(ALM 42). Diese Metamorphose ist ein heidnisches Phänomen, das nach der christlichen Konstituierung des Wunsches von dem Mangel und der Purifikation mittels des Konzepts der Erbsünde verschwindet: "unser Körper ist nicht mehr heidnisch und mythisch, es ist christlich und metaphorisch Körper des Wunsches und nicht der Fabel"(ALM 44). Es ist einen Nietzsche vonnöten, um diese Welt wieder in eine Fabel umzuwandeln.

6. Metamorphose: Unmittelbarkeit der Metapher

Die Verführung

"entzieht die Seienden dem Reich der Metapher, damit sie dem der Metamorphosen ausgeliefert werden. Sie entzieht die Seienden dem Reich der Interpretation, damit sie dem der Divination ausgeliefert werden. Sie ist eine einweihende Form, und sie gibt den Zeichen ihre Herrschaft zurück"(SF 159).

Wenn Metaphern zu Simulacra werden und diese sich nur noch in Scheinmanöver aneinanderreihen, kann Baudrillard dieser Prozeß nicht anders als ein Metamorphosieren verstehen. Aber was können wir, abendländische Individuen einer entmythologisierten, modernen Welt uns dabei vorstellen? In Masse und Macht (1960) bezeichnet Canetti die Metamorphose wie "die Fähigkeit des Menschen zur Verwandlung, die ihm so viel Macht über alle übrigen Geschöpfe gegeben hat ..."(MM 66) und assoziiert er sie zunächst mit den Initiationsriten 'primitiver' Gesellschaften. Die Identitäten, die aus den Zeremonien resultieren eignet man sich nicht zu; man empfängt sie wie eine Gabe: "Niemand darf sich die Verwandlung, die als fester Besitz überliefert wird, ohne ein Recht auf sie aneignen"(MM 118). Die Verwandlung ist nie dem Willen des Individuums untergeordnet, sondern ist ein Ereignis von außen. Aber es geht auch nicht um eine Identifikation oder Einfühlung:

"Nachahmung ist etwas Äußerliches, sie setzt etwas voraus, das man vor Augen hat, dessen Bewegungen man kopiert. (...) Über die innere Verfassung dessen, der nachahmt, ist damit nichts ausgesagt."(MM 106/7)

Die Verwandlung vollzieht sich eher auf der Grenze zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit, das Grenzgebiet, wo Sein und Schein nicht mehr zu trennen sind. Höchstinteressant ist die Darstellung Canetti's bezüglich der Vermummung oder der Maske, in der die metamorphosierenden Verschiebung zeitlich auf die Grenze fixiert wird. Die Bedeutung der Maske ist:

"Sie ist ein Endzustand. Das fluide Treiben unklarer, halb ausgegorener Verwandlungen, deren wunderbarer Ausdruck jedes natürliche, menschliche Antlitz ist, mündet in die Maske; es endet in ihr."(MM 113)

Die Maske, so können wir mit Baudrillard behaupten, ist keine Metapher, sondern ein Simulacrum. In unserer, modernen, entzauberten Welt tritt das Metamorphosieren nur noch in Erscheinung in bestimmten Lagen, in denen das Subjekt seinen Griff auf die Dinge verliert. Canetti weist auf vielerlei psychopathologische Phänomene hin, wie die Hysterie. Diese ist "nichts anderes als eine Reihe von heftigen Verwandlungen zur Flucht"(MM 76). In Bezug auf das Delirium macht er zwei Bemerkungen, die für unsere Optik von äußerster Wichtigkeit sind. Kräpelin zitierend behauptet Canetti, daß "unter den Trugwahrnehmungen des Deliriums Tremens diejenigen des Gesichts pflegen zu überwiegen"(MM 93). Und einige Seiten weiter sagt er, daß, im Gegensatz zu den primitiven Metamorphosen, die 'modernen' "... sich immer außerhalb des Kranken abspielen; auch wenn er sie als Wirklichkeit erlebt, verwandeln sie nicht ihn selber"(MM 99). Die Metamorphose ist für die moderne Wissenschaft nur noch ein äußerlicher visueller Prozeß, dem das zerrissene Subjekt ausgeliefert wird. Doch setzen die wechselnden Bilder immer noch einen unerschütterlichen Ursprung voraus: das Subjekt. Das nahezu nostalgische Interesse Baudrillards für primitive Gemeinschaften tritt in L'échange symbolique et la mort hervor. In diesem Buch beschreibt er auf skizzenhafte Weise wie diese Gemeinschaften noch von einer eindeutigen, symbolischen Beziehung zwischen den Zeichen und einer kollektiv erlebten Wirklichkeit konstituiert sind. Jeder Tausch bezieht seinen Wert einem Opfer, einer exzessiven Gabe, in der der Tod aufgehoben wird. Es ist diese Todeserfahrung, in der sich alles metamorphosiert. Das Opfer, der symbolische Tausch, ermöglicht diesen Prozeß der Verwandlung. Man darf 'symbolisch' hier aber nicht auf lacanischen Weise interpretieren:

"Das Symbolische ist weder ein Begriff, noch eine Instanz oder eine Kategorie, noch eine 'Struktur', sondern ein Tauschakt und eine soziale Beziehung, die das Reale beendet und auflöst; und zugleich löst es den Gegensatz von Realem und Imaginärem auf."(STT 209)

Lacans Unterschied zwischen der realen, imaginären und symbolischen Ordnung, bekommt eine fundamental anderen Auslegung. Die Bedeutung, die spätere Gesellschaften den tatsächlichen Tod beimessen, schafft, so meint jedenfalls Baudrillard, gerade das Unterschied zwischen realer und imaginärer Ordnung und in abgeleiteter Weise zwischen Sein und Schein. Ein Gegensatz der vorher durch die symbolische Tauschhandlung ausgeschloßen wurde. Mit dem Begriff 'symbolisch' deutet Baudrillard also eher auf die Zerstücklung als auf die Konstituierung des Ichs. Nur in zwei andere Texte bringt Baudrillard das Phänomen der Metamorphosen zur Sprache. In beiden gibt es einen Hinweis auf die primitiven Kulture. In Simulacres et Simulation (1981) im Artikel "Les bêtes, territoire et métamorphose" verkettet er den metamorphosierenden Charakter des Tieropfers mit der spezifischen Erfahrung der Zeit. Es handelt sich hier nicht um eine dialektisch lineare, sondern um eine zyklische Erfahrung der Zeit, in der, gerade durch das Fehlen der Erfahrung von Akkumulation, Emanzipation und Entwicklung, der Prozeß der Verwandlung unendlich stattfinden kann. Dieser zyklischen Erfahrung der Zeit entbehrt die ultime Einteilung der Wirklichkeit in Dichotomien: "... der Kreis ist symbolisch: er tilgt die Positionen in einer reversibelen Verkettung"(SS 196). Baudrillard konstatiert also, daß zusammen mit dem Verschwinden einer sakralen Ordnung und mit der Transformation einer zyklischen in eine dialektische Erfahrung der Zeit, auch die Metamorphose verschwindet. Daß er aber in Les stratégies fatales die Metamorphose trotzdem als Nachfolger der Metapher bezeichnet, darf, im Hinblick auf die oben implizierte Chronologie wenigstens Befremden erregen. Aber wenn wir diese 'ontologischen' Erscheinungen in die Terminologien der Semiotik übersetzen, wird sofort erklärt, daß die Reihe als Simulacra aufgefaßten Metaphern nichts anderes als ein Prozeß der Metamorphose sein könnte. Signifikanten gehen unvermittelt in einander über. Es handelt zich jedoch nicht um Verwandlungen der Individuen, sondern der reinen Objekte. Oder wie Baudrillard es in dem Kapitel "Métamorphose, métaphore et métastase" in L'autre par luimême (1987) in Worte faßt:

"Sobald Prozesse von der Analyse in Bedrängnis gebracht werden, drehen sie sich um, gerade wie die Erscheinungen sich metamorphosieren, sobald sie von dem Sinn in die Enge getrieben werden."(AM 127)

In diesem Zitat wird die frühere Chronologie wiederherstellt. Die Ekstase der Signifikation, der Wildwuchs oder die Metastase, "die Machtssteigerung, 'die steigernde Potenz'", steht gegenüber dem dialektischen Moment, "'der dialektischen Aufhebung', die die Bewegung der Transzendenz ist"(SF 36). In dieser Weise sind wir beim Anfang von Les stratégies fatales zurückgekehrt. Dort hat Baudrillard die Metamorphose wie eine "ekstatische Form"(SF 8), die der Mode und den Medien zu eigen ist, bezeichnet. Seine Auffassungen im Bezug auf den Medien verraten den Einfluß der Medienanalysen Marshall McLuhans. McLuhans Betonung der Autonomie der Medien "The medium is the message" mündet jedoch in die Wiederherstellung der autonomen Subjektivität aus. Bei Baudrillard ist keine Rede davon. Sprechend über Erscheinungen und den Kreislauf der Verwandlungen, scheint er eher auf die Weise an zu spielen, in der wir wie in einem Delirium tremens, Kanal nach Kanal, mittels und in den Medien den Prozeß des Metamorphosierens wahrnehmen, ùnd in ihrem Konsum an uns selbst vollziehen. Durch die Aufhebung des subjektorientierten Wunsches und der radikalisierung des Scheins als Schein oder das Medium als 'message' verlieren die Dichotomien InhaltForm, SignifikatSignifikant, SeinSchein ihre Wirksamkeit. Ein letztes Beispiel zum Schluß aus Les stratégies fatales. Dort weist Baudrillard im Hinblick auf dieser intentions und interessenlosen Affirmation der Zeichen auf die Gesetzte des Manus hin, in denen das Verhalten der Brahmanen peinlich genau aufgezeichnet ist: "Keinerlei Metaphern, keinerlei Rhetorik, keinerlei Allegorie oder Metaphysik ist in den Gesetzen des Manus aufzufinden"(SF 186). Die Zeichen nötigen zu absoluter Befolgung, wodurch sie ihre höchste Intensität bekommen. Form und Inhalt lösen sich in dieser Intensität auf, die Wunsch noch Bestimmung kennt. Die Faszination der Form (Schein, Äußerlichkeit, Simulacrum), ihre strikte Befolgung ohne einigen Wunsch oder Befriedigung, die Hingabe an der Verführung durch die völlig von Sinn und Sein entblößten Zeichen ist nicht als eine Affirmation des Scheins als Schein.

7. Eine neue, postmetaphysische Spannung: Verführung

Die Auflösung der Metapher in die Metamorphose scheint, den Voraussetsungen Baudrillards gemäß, eine selbstverständliche Sache. Ich bin jedoch der Meinung, daß es notwendig ist einige Bemerkungen zu machen, die seine These der fatalen Theorie unmittelbar treffen. Zunächst drängt sich die Frage auf, ob eine Metamorphose an sich eben zu fassen ist. Ob es nicht immer wenn auch in der Form eines sich in der Sprache ankündigenden, aber sich dennoch immer entziehenden 'Ursprung' noch eine dritte Gestalt braucht, aus der ein Wechsel denkbar ist. Baudrillard ist sich dies zutiefst bewußt. Ursprünge und Ziele sind zwar verschwunden, aber durch die Verführung hat er eine neue Spannung geschaffen, durch die eine sinnvolle Diskurs noch ermöglicht wird. Das fatale oder reine Objekt ähnelt dem Anderen von Lacan, sei es, daß es sich nun wie ein Simulacrum in der Sprache ankündigt. Das subjektobjekt Verhältnis ist nicht aufgelöst, sondern umgekehrt, wodurch eine postmetaphysische Spannung geschaffen wird, die durchaus Raum bietet für eine andersartige Metaphorik. Die von Baudrillard häufig verwendeten astrophysischen Metaphern und seine Anthropomorphosierung des Objekts sind davon die sprechenden Zeuge. Durch dieser Umkehrung wird die Spannungskurve zwischen der Wirklichkeit und der Theorie aufrechterhalten, was Baudrillard später in L'autre pas luimême tatsächlich bestätigt. Auf die sich selbst gestellte Frage: warum Theorie? antwortet er:

"ihr Verhältnis ist eines der gegenseitigen Herausforderung. Denn das Reale ist zweifellos nicht anderes, als die Herausforderung der Theorie. Kein objektiver Zustand der Dinge, sondern ein radikales Limit der Analyse ..."(AM 84)

Mir erscheint es, daß dieser Begriff des Limits wie ein zurückweichender Horizont Derrida's Begriff der Différance ähnelt.

8. Ironie und metaphorisches Bewußtsein

Obgleich Baudrillard in Les stratégies fatales dem Subjekt jede Ironie verweigert und 'ironische Strategien' nur den Objekte vorbehaltet, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, daß alle seine Werke von einem typischen 'ironischen Pathos' gefärbt ist. Eine Leidenschaft, die er mit anderen postmodernen Kulturkritikern teilt:

"Es ist nicht der fall, daß ich in einer logisch konstruierten Kritik die Negation hineinbringe. Es ist eher eine Frage der Ironie. Es entwickelt sich ein Prozeß, in dem man ein System, einen Begriff oder eine Argumentation zur äußersten Grenze treibt und diese folglich über die Grenze hinausstößt, damit sie über ihre eigene Logik stolpern..."

Wenn er in einem anderen Kontext erklärt, daß eine derartige Strategie fordert, "daß man ein Objekt wird, eine Art Schicksal", dann nimmt seine Zuteilung der Ironie an die Objekte eine überraschende Wendung. Es sieht so aus, alsob der Schriftsteller Baudrillard sichselbst in seinem Text 'objektiviert', alsob er sich nicht sosehr "an seinem eigenen Text vorbei" schreibt, sondern vielmehr in seinem Text mit einschließt. Gegeben dieser ironische Einsatz, scheint Baudrillard in tückischer Weise zu tarnen, daß seine Diskurs gerade durch die Metapher zur Geltung kommt. Seine ironische Einstellung zu einer offensichtlich verschwundenen Wirklichkeit, enthält jedenfalls ein negatives Urteil: der modernistische Umgang mit der Welt hat ausgedient, nicht im Geringsten weil die Dinge selbst sich erhoben haben. Gerade dieser parasitären Beziehung entnimmt Baudrillards Diskurs eine angespannte Zweckmäßigkeit. Wenn wir diese parasitäre Beziehung in die Terminologie Lacans übersetzen, können wir alle Kategorien, auf deren Ende Baudrillard hindeutet das Soziale, die Politik, die Geschichte, das Subjekt als metaphorische Fixationen deuten. Seine Anwendung der Ironie inpliziert eine Problematisierung dieser imaginären Bilder. Es wird beim Leser an sein metaphorisches Bewußtsein appelliert, das eine Beziehung zwischen der Sprache und der außersprachlichen Wirklichkeit voraussetzt. Die Ironie problematisiert anschließend diese Beziehung. So stellt sich heraus, daß "die ironischen Strategien des Objekts" und die "Ironie des Schicksals", Funktionen des menschlichen Bewußtseins sind, das mit dem Scheitern seiner "banalen Strategien" konfrontiert wird: "Die Wege, die die Dinge gefunden haben, um der Dialektik zu entrinnen" sind vielleicht gepflastert mit den Desillusionen des enttäuschten Subjekts Baudrillard. Damit wir die Metamorphose denken können, wird eine metaphorische Fixation gefordert. Ist es fundiert und verantwortet die Metamorphose Baudrillards als die lacanische metonymische Verschiebung zu verstehen? In Les stratégies fatales gibt es diesen Terminus noch nicht, aber in seinem letzten Buch La Transparence du Mal taucht er plötzlich auf. Da heißt es, daß "die Metonymie (der Ersatz des Ganzen und der einzelnen Teile, die totale Kommutation der Termini) sich heute auf die Enttäuschung der Metapher basiert"(TM 16). Trotz seiner Kritik auf Lacans Theorie über den Wunsch, übernimmt Baudrillard selbst durchaus diese problematischen Komponente. Auch bei ihm stellt es sich heraus, daß die metonymische Verschiebung nur von einer metaphorischen Verdichtung zu einem imaginären Bild ermöglicht wird. Die Metapher verschwindet also nicht. Nur eine bestimmte Fixation, derzufolge wir einem neurotischen Umgang mit der Welt und mit unserer Innerlichkeit ausgeliefert sind, wird in Frage gestellt: die Subjektivität. Die ironische Strategie Baudrillards oder besser: die von dem sichselbst objektivierenden Baudrillard eingesetzte fatale Strategie besteht darin, daß er die Verschiebung dem Anschein nach verabsolutiert. Infolge der verführerischen Wirksamkeit der reinen Objekte, erscheint das lacanische Andere, wodurch die imaginäre Verbindung mit dem modernen Subjekt auflöst:

"Vielleicht führen wir hiermit eine kollektive und ironische Existenz ein, die, in seiner extremen Weisheit, nicht mehr an seine eigenen Grundlagen appelliert und sich nur noch in das Spektakel seines Verschwindens verlieren wollte."(SF 144)

Ein Spektakel, das in der Sprache aufgeführt wird. Ein Spiel von Erscheinen und Verschwinden, das sich ausschließlich in Texten vollziehen kann. Nichtpataphysische Texte, weil Baudrillard eben keine "Wissenschaft der imaginären Lösungen", sondern nur eine Lösung des Imaginären und damit des Realen mittels eines symbolischen Tausch in der Sprache beabsichtigt. So wird seine These der fatalen Theorie von seinem Schreibstil illustriert. Mittels einer Verschlingung der Form und Inhalt scheint es mir zu, daß Baudrillard ein radikal hypothetisches Spiel spielt: "Es ist mehr ein hypothtisches Spiel. Zuerst hatte ich eine fast McLuhanartige Hypothese ...". Viele Anmerkungen in Les stratégies fatales sind von gleichem Inhalt: "Wie dem auch sei, bezaubernt ist die Hypothese...", aber "die ('wissenschaftliche') Hypothese einer toten Objektivität des Universums die ist unwahrscheinlich"(SF 92). Warum ist nicht klar, weil es keine Verifikationsmöglichkeiten mehr gibt. Hypothesen können nur spektakulär sein. Sie müßen bezaubern. So ist

"es, schon nur zur Abwechslung, interessant die Masse (...) aufzufassen wie eine Herrin einer delusiven, illusiven, allusiven Strategie, verbunden mit einem Unbewußten, das endlich ironisch, fröhlich und verführerisch ist"(SF 109).

Vielleicht könnte Baudrillards Anmerkung auf der letzten Seite verstanden werden als ein Hinweis auf das Spiel, das er mit den Lesern spielt:

"Alles läßt sich am Ende folgenderweise resumieren: behaupten wir für einen Moment die Hypothese, daß die Ordnung der Dinge eine fatale und rätselhafte Voreingenommenheit kennt."(SF 211)

Dadurch, daß Baudrillards Projekt an die philosophische Debatte über den Status der Metapher angeschlossen wird, können wir das großzügige Spiel zwar mit einschließen, aber nie widerlegen. Seine Hypothesen sind nicht zu falsifizieren. Die sich aneinanderreihende Signifikanten bilden einen circulus vitiosus, einen Teufelskreis. Einmal in diesem Sprachspiel eingetreten, sich wir genötigt das von seinen Regeln bestimmten Spiel zu spielen. Die Abgrenzung seines totalen Projekts fordert eine Distanz, die in dem Spiel der völligen Zirkulation der eindimensionalen Zeichen, d.h. Signifikanten, aufgelöst wird. Im Spiel kann Baudrillard nicht 'demaskiert' werden, weil hinter jede Maske, auf der Grenze zwischen Sein und Schein, immer wieder eine neue Maske, ein neues Simulacrum erscheint.